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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Ich blies hinein. Ein zäher, unwilliger Ton kam heraus und flog träge dahin. Ich blies noch einmal, länger und stärker. Dann setzte ich mich ins Boot und wartete, ob jemand käme.
    Der See war nur leicht bewegt. Ganz kleine Wellen schlugen mit schwäch-
    lichem Klatschen an die dünnen Bootswände. Mich fror ein wenig, und ich
    wickelte mich fest in meinen weiten, regenfeuchten Mantel, steckte die Hände unter die Achseln und betrachtete die Seefläche.
    Eine kleine Insel, dem Anschein nach nur ein stattlicher Felsen, ragte in der Seemitte schwärzlich aus dem bleifarbenen Wasser. Ich würde, wenn sie mein
    wäre, einen Turm darauf bauen lassen, mit wenigen Zimmern und quadrati-
    schem Grundriß. Ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, ein Eßzimmer und eine
    Bibliothek.
    Dann würde ich einen Wärter hineinsetzen, der müßte alles in Ordnung
    halten und jede Nacht im obersten Zimmer Licht brennen. Ich aber würde
    weiterreisen und wüßte nun zu jeder Zeit eine Zuflucht und Ruhestätte auf
    mich warten. In fernen Städten würde ich jungen Frauen von meinem Turm
    im See erzählen.
    Ist auch ein Garten dabei?
    würde vielleicht eine fragen. Und ich:
    Ich
    weiß nicht mehr, ich war so lange nimmer dort. Wollen Sie, daß wir hinreisen?
    Sie würde lachen, und der Blick ihrer hellbraunen Augen würde sich plötzlich verändern. Möglich auch, daß ihre Augen blau sind oder schwarz, und ihr
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    Gesicht und Nacken bräunlich, und ihr Kleid dunkelrot mit Pelzbesätzen.
    Wenn es nur nicht so kühl gewesen wäre! Eine Verdrießlichkeit wuchs in mir
    herauf.
    Was geht mich die schwarze Felseninsel an? Sie ist lächerlich klein, wenig
    besser als ein Vogeldreck, und man könnte auf ihr überhaupt nicht bauen.
    Wozu auch, bitte? Und was liegt daran, ob eine junge Frau, die ich mir erdenke und der ich möglicherweise, falls sie wirklich existierte, mein Turmschloß zeigen würde, falls ich eines hätte – ob diese junge Frau blond ist oder braun und ob ihr Kleid einen Pelzbesatz hat oder Spitzen oder gewöhnliche Litzen? Wären
    mir Litzen etwa nicht gut genug?
    Gott bewahre, ich gab den Pelzbesatz, den Turm und die Insel preis, rein
    um des Friedens willen. Meine Verdrießlichkeit kassierte die Bilder mürrisch, schwieg und nahm zu statt ab.
    Bitte , fragte sie nach einer Weile wieder,
    wozu sitzt du eigentlich hier,
    an einem weltfremden Ort, in der Nässe am Strand und frierst?
    Da knirschte der Kies, und eine tiefe Stimme rief mich an. Es war der
    Fährmann.
    Lang gewartet?
    fragte er, während ich ihm das Boot ins Wasser schieben
    half.
    Gerade lang genug, scheint mir. Jetzt also los!
    Wir hängten zwei Paar Ruder ein, stießen ab, drehten und probierten den
    Takt aus, dann arbeiteten wir schweigend mit starken Schlägen. Mit dem
    Erwärmen der Glieder und mit der flotten, taktfesten Bewegung kam ein an-
    derer Geist in mir auf und machte dem fröstelnd trägen Unmut ein rasches
    Ende.
    Der Schiffsmann war graubärtig, groß und mager. Ich kannte ihn, er hatte
    mich vor Jahren mehrmals gerudert; doch erkannte er mich nicht wieder.
    Wir hatten eine halbe Stunde zu rudern, und während wir unterwegs wa-
    ren, ward es vollends Nacht. Mein linkes Ruder rieb in seiner Öse bei jedem
    Zuge mit rostig knarrendem Ton, unter dem Vorderteil des Bootes schlug das
    schwache Gewoge unregelmäßig mit hohlem Geräusch an den Schiffsboden.
    Ich hatte zuerst den Mantel, dann auch noch die Jacke ausgezogen und neben
    mich gelegt, und als wir uns dem jenseitigen Ufer näherten, war ich leicht in Schweiß geraten.
    Jetzt spielten vom Strande her Lichter auf dem dunkeln Wasser, zuckten
    springend in gebrochenen Linien und blendeten mehr, als sie leuchteten. Wir
    stießen ans Land, der Fährmann warf seine Bootskette um einen dicken Pfahl.
    Aus dem schwarzen Torbogen trat der Zöllner mit einer Laterne. Ich gab
    dem Schiffsmann seinen kleinen Lohn, ließ den Zöllner an meinem Mantel
    schnuppern und zog mir die Hemdärmel unter der Jacke zurecht.
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    Im Augenblick, da ich wegging, fiel mir der vergessene Name des Schiffers
    wieder ein.
    Gut Nacht, Hans Leutwin , rief ich ihm zu und ging davon,
    während er, die Hand vorm Auge, mir erstaunt und brummend nachglotzte.
    Im Goldenen Löwen
    In dem alten Städtlein, das ich nun vom Seegestade her durch einen hohen
    Torbogen betrat, begann erst eigentlich meine Lustreise. In diesen Gegenden
    hatte ich vorzeiten eine Weile gelebt und mancherlei Sanftes und Herbes er-
    fahren, wovon ich jetzt da

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