Die Erzaehlungen 1900-1906
Briefe nach Paris und Anweisungen an
seinen Bankier, verlangte auf den Abend die Hotelrechnung und bestellte für
morgen einen Wagen nach Solothurn.
(1906)
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Maler Brahm
Unter den Verehrern der schönen Sängerin Lisa war Reinhard Brahm, der
bekannte Maler, jedenfalls der merkwürdigste.
Als er Lisa kennen lernte, war er vierundvierzig Jahre alt und hatte seit
mehr als zehn Jahren das Leben eines weltfremden Einsiedlers geführt. Nach
einigen Jahren zielloser Bummelei und unruhiger Genußsucht war er in eine
asketische Einsamkeit untergetaucht, und im Kampf um seine Kunst schien
ihm jedes Verhältnis zum täglichen Leben verlorengegangen zu sein. Fieber-
haft arbeitend, vergaß er Geselligkeit und Gespräch, versäumte Mahlzeiten,
ließ sein Äußeres verwahrlosen und war bald genug vergessen. Indessen malte
er verzweifelt. Er malte fast nichts andres als die Stunde der Dämmerung,
das Untergehen der Formen, den Kampf der Umrisse mit der vernichtenden
Finsternis.
Er malte eine kaum mehr sichtbare Flußbrücke, auf der eben die erste La-
terne aufflammte. Er malte eine Pappel, die im Abenddämmern verschwand
und nur noch mit dem äußersten Wipfel in den matten Späthimmel stand.
Und schließlich malte er eine Vorstadtstraße bei Einbruch der Herbstnacht,
ein ungemein schlichtes Bild von dunkler Gewalt. Damit wurde er bekannt,
und von da an galt er für einen Meister, doch schien er sich wenig daraus zu machen.
Immerhin kamen nun öfters Menschen zu ihm, und da er kein Talent zum
Grobsein hatte, geriet er langsam und mit Widerstreben allmählich wieder in
eine kleine, doch recht auserlesene Geselligkeit, an welcher er meist schweigend teilnahm. Sein Atelier blieb für jedermann verschlossen. Nun war ihm
vor einigen Wochen Lisa begegnet, und der schon ein wenig alternde Einsied-
ler hatte sich in die merkwürdige Schönheit mit später Leidenschaft verliebt.
Sie war etwa fünfundzwanzigjährig, schlank und von ausgesprochen keltischer
Schönheit.
So kühl und hochmütig die verwöhnte Sängerin war, das Außerordentli-
che dieser Liebe begriff sie doch und wußte es zu schätzen. Ein Mann mit
berühmtem Namen, der für unnahbar und fast apathisch galt, war in sie ver-
liebt.
Sie fragte ihn, ob sie sein Atelier sehen dürfe. Und er lud sie ein. Er empfing 423
sie in dem Raum, den in zehn Jahren außer ihm und dem Diener niemand
betreten hatte. Studien und Bilder, die er niemand gezeigt hatte, besah sie
mit ihrem klugen, aparten, hochmütigen Gesicht.
Gefällt Ihnen etwas davon?
fragte Brahm.
O, alles.
Sie verstehen es? Ich meine, Sie begreifen, um was mir zu tun war? Es
sind ja schließlich nur Bilder, aber ich habe mich viel damit geplagt . . .
Die Bilder sind wundervoll.
Nun, die paar Bilder! Dafür, daß ein halbes Leben an sie verbraucht worden
ist, sind sie recht wenig. Ein halbes Leben! Aber einerlei –
Sie können stolz sein, Herr Brahm.
Stolz? Das ist viel gesagt. Befriedigt sein wäre schon viel. Aber man ist
nie zufrieden. Die Kunst befriedigt nie. Doch, wie gesagt, gefällt Ihnen etwas davon? Ich möchte es Ihnen nämlich gern schenken.
Was denken Sie? Ich könnte ja nicht –
Fräulein Lisa, alle diese Sachen hab’ ich doch nur für mich selber gemalt.
Es war niemand da, dem ich damit eine Freude hätte machen wollen. Und nun
sind Sie da, und gerade Ihnen würde ich gern eine kleine Freude machen, ein
kleiner Gruß verstehen Sie – ein Künstler dem andern. Darf ich das wirklich
nicht? Es wäre doch schade.
Verwundert gab sie nach, und noch am gleichen
Tage schickte er ihr das Bild mit der Pappel, seinen Liebling.
Von da an verkehrte er bei ihr. Er besuchte sie je und je, und zuweilen bat er sie, ihm etwas zu singen. Dann war er einmal gekommen und in der Hilflosigkeit seiner Leidenschaft zudringlich geworden. Sie hatte die Entrüstete gespielt, er war darauf demütig und traurig geworden und hatte um Verzeihung gebeten,
fast unter Tränen, und seither beherrschte und quälte sie ihn mit allen Launen einer Schönheit, die hundert Verehrer hat. Und seither wußte er, daß die, die er liebte, ihm nicht ähnlich war, nicht eine einfache und gute Natur wie er, nicht eine ehrliche und unverbogene Künstlerseele wie er, sondern ein Weib voll launischer Eitelkeit, eine Komödiantin. Aber er liebte sie, und mit jedem Flecken, den er an ihr wahrnehmen mußte, wuchs sein Schmerz, wuchs aber auch seine
Liebe. Er mied sie zuweilen, aber nur um sie zu
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