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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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verblühte Frau Notar es unter
    dem harten Regiment des seligen Trefz nicht herrlich gehabt habe, und man
    wußte ebensowohl, wie günstig der unerwartet frühe Hingang des Vaters für
    die Pläne und Aussichten des Jungen war. Der war dreißig Jahre alt und
    hätte eigentlich der Mitarbeiter und Teilhaber seines Alten werden sollen.
    Aber der junge Trefz hatte an der Universität studiert und fühlte sich seinem altmodischen und weniger gebildeten Vater so sehr überlegen, daß die beiden
    nicht miteinander hatten auskommen können. So war der Sohn, künftiger
    Zeiten harrend, einstweilen fern von der Heimat im Büro eines Advokaten
    untergeschlüpft und hatte darauf gewartet, daß sein Vater alt werde und ihn
    doch noch brauchen und holen müsse. Stattdessen konnte er nun, weit über
    die blühendsten Hoffnungen hinaus, sich geradezu ins warme Nest setzen.
    Überaus prächtig war das Begräbnis des Notars am dritten Tag nach sei-
    nem Tode. Es gab wohl keinen, der den Verstorbenen geliebt hatte. Aber die
    Teilnahme und Neugier der Menschen drängen sich gerne zu so raschen, un-
    erwarteten Todesfällen. Der gesunde, wenig nachdenkende Bürger, wenn er
    vernimmt, es sei der und der ganz plötzlich weggestorben, zuckt zusammen
    und fühlt, es könnte wohl auch ihm einmal so gehen. Er tritt zum Nachbar,
    sagt:
    Weißt du schon?
    und knüpft an den Todesfall ernsthaft einige gang-
    bare Betrachtungen über die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens.
    Die meisten aber waren zum Begräbnis gekommen, weil sie heimlich fühlten,
    daß der Notar Trefz eine von den guten, weithin sichtbaren, unentbehrlichen
    Figuren ihrer Vaterstadt gewesen war. Es gibt in jeder Stadt ein Dutzend
    solche, ohne die man sich die Gasse und das Rathaus und die Kegelbahn
    gar nicht denken möchte, Männer von auffallender großer Statur mit großen
    Bärten, oder glattrasierte vornehme Gesichter, oder spitze, hagere Alte mit
    Schnupfdosen und Stöcken. Es sind nicht immer die tüchtigsten und für das
    gemeine Wohl besorgtesten Männer, aber es sind Charakterfiguren, deren Er-
    scheinung zum Bilde der Stadt gehört, deren Anblick befriedigt und deren
    Gruß man schätzt. Ein solcher war Trefz gewesen, zudem ein demokratischer
    Parteimann und Besitzer eines stattlichen Vermögens. So kam es, daß seine Allernächsten wenig um ihn zu trauern fanden, während er der ganzen Stadt zu
    fehlen schien und niemand bei der Beerdigung eines so bedeutenden Mannes
    fehlen wollte.
    Die bescheidene Mutter hatte kein Auge dafür, sie wünschte bang und
    ermüdet sich aus dem Lärm und Geschäft und Redenmüssen dieser Trau-
    ertage heraus. Desto stolzer blickte der junge Dr. Trefz auf die gewaltige Zahl der Leidtragenden und nahm den seinem Vater und seinem Haus dargebrach-ten Ehrenzoll wie ein Feldherr entgegen, zuerst heimlich vom Fenster aus,
    dann öffentlich und kühn, als er neben der Mutter feierlich hinter dem Sarge 454
    her aus dem Hause trat. Der Leichenwagen war glänzend geschmückt und der
    Sarg mit Kränzen ganz bedeckt. Angesichts der Menge und des langsam an-
    ziehenden und hinwegfahrenden Sargwagens fing die Witwe still zu weinen an,
    der Dekan trat an ihre Seite, und der Zug begann sich feierlich zu entfalten, während noch der halbe Markt voll Wartender stand.
    Der nächste Weg zum Kirchhof wäre der durch die Kronengasse gewesen,
    aber diese war gar steil, und es sah auch weit besser aus, daß der Zug, eine Schneckenlinie um den Ort seines Entstehens beschreibend, sich über den ganzen langen Marktplatz hin entwickelte, dessen mäßige Schräge das Übersehen
    erleichterte. Als der reichlich geschmückte Leichenwagen unten gegen die Ger-bergasse hin um die Marktecke schwenkte, blickte der hinterherschreitende
    junge Notar einen Augenblick zurück und weidete sein ernstes Auge am An-
    blick des großen Platzes, der rings vom wogenden Trauerzuge umschritten und
    von schwarzer Feierlichkeit erfüllt war. Im Zuge schritten die Männer voran, fast alle mit Zylinderhüten bekleidet, deren manche sich im Sonnenschein ihrer Blankheit erfreuten, während andre, ältere von vergessenen Formen, in
    ihrer wohlmeinenden Rauheit dem spiegelnden Licht trotzten und nur die
    vordrängenden Büschel ihrer Hasenhaare leise silbern erschimmern ließen.
    Beim Durchwandeln des Kirchhofeinganges an der grasigen Mauer vorbei
    fing die Witwe abermals zu weinen an. Es erging ihr wie den meisten, daß hier beim Eintritt in die kühle Feierabendluft der Gräberstatt und

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