Die Erzaehlungen 1900-1906
verblühte Frau Notar es unter
dem harten Regiment des seligen Trefz nicht herrlich gehabt habe, und man
wußte ebensowohl, wie günstig der unerwartet frühe Hingang des Vaters für
die Pläne und Aussichten des Jungen war. Der war dreißig Jahre alt und
hätte eigentlich der Mitarbeiter und Teilhaber seines Alten werden sollen.
Aber der junge Trefz hatte an der Universität studiert und fühlte sich seinem altmodischen und weniger gebildeten Vater so sehr überlegen, daß die beiden
nicht miteinander hatten auskommen können. So war der Sohn, künftiger
Zeiten harrend, einstweilen fern von der Heimat im Büro eines Advokaten
untergeschlüpft und hatte darauf gewartet, daß sein Vater alt werde und ihn
doch noch brauchen und holen müsse. Stattdessen konnte er nun, weit über
die blühendsten Hoffnungen hinaus, sich geradezu ins warme Nest setzen.
Überaus prächtig war das Begräbnis des Notars am dritten Tag nach sei-
nem Tode. Es gab wohl keinen, der den Verstorbenen geliebt hatte. Aber die
Teilnahme und Neugier der Menschen drängen sich gerne zu so raschen, un-
erwarteten Todesfällen. Der gesunde, wenig nachdenkende Bürger, wenn er
vernimmt, es sei der und der ganz plötzlich weggestorben, zuckt zusammen
und fühlt, es könnte wohl auch ihm einmal so gehen. Er tritt zum Nachbar,
sagt:
Weißt du schon?
und knüpft an den Todesfall ernsthaft einige gang-
bare Betrachtungen über die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens.
Die meisten aber waren zum Begräbnis gekommen, weil sie heimlich fühlten,
daß der Notar Trefz eine von den guten, weithin sichtbaren, unentbehrlichen
Figuren ihrer Vaterstadt gewesen war. Es gibt in jeder Stadt ein Dutzend
solche, ohne die man sich die Gasse und das Rathaus und die Kegelbahn
gar nicht denken möchte, Männer von auffallender großer Statur mit großen
Bärten, oder glattrasierte vornehme Gesichter, oder spitze, hagere Alte mit
Schnupfdosen und Stöcken. Es sind nicht immer die tüchtigsten und für das
gemeine Wohl besorgtesten Männer, aber es sind Charakterfiguren, deren Er-
scheinung zum Bilde der Stadt gehört, deren Anblick befriedigt und deren
Gruß man schätzt. Ein solcher war Trefz gewesen, zudem ein demokratischer
Parteimann und Besitzer eines stattlichen Vermögens. So kam es, daß seine Allernächsten wenig um ihn zu trauern fanden, während er der ganzen Stadt zu
fehlen schien und niemand bei der Beerdigung eines so bedeutenden Mannes
fehlen wollte.
Die bescheidene Mutter hatte kein Auge dafür, sie wünschte bang und
ermüdet sich aus dem Lärm und Geschäft und Redenmüssen dieser Trau-
ertage heraus. Desto stolzer blickte der junge Dr. Trefz auf die gewaltige Zahl der Leidtragenden und nahm den seinem Vater und seinem Haus dargebrach-ten Ehrenzoll wie ein Feldherr entgegen, zuerst heimlich vom Fenster aus,
dann öffentlich und kühn, als er neben der Mutter feierlich hinter dem Sarge 454
her aus dem Hause trat. Der Leichenwagen war glänzend geschmückt und der
Sarg mit Kränzen ganz bedeckt. Angesichts der Menge und des langsam an-
ziehenden und hinwegfahrenden Sargwagens fing die Witwe still zu weinen an,
der Dekan trat an ihre Seite, und der Zug begann sich feierlich zu entfalten, während noch der halbe Markt voll Wartender stand.
Der nächste Weg zum Kirchhof wäre der durch die Kronengasse gewesen,
aber diese war gar steil, und es sah auch weit besser aus, daß der Zug, eine Schneckenlinie um den Ort seines Entstehens beschreibend, sich über den ganzen langen Marktplatz hin entwickelte, dessen mäßige Schräge das Übersehen
erleichterte. Als der reichlich geschmückte Leichenwagen unten gegen die Ger-bergasse hin um die Marktecke schwenkte, blickte der hinterherschreitende
junge Notar einen Augenblick zurück und weidete sein ernstes Auge am An-
blick des großen Platzes, der rings vom wogenden Trauerzuge umschritten und
von schwarzer Feierlichkeit erfüllt war. Im Zuge schritten die Männer voran, fast alle mit Zylinderhüten bekleidet, deren manche sich im Sonnenschein ihrer Blankheit erfreuten, während andre, ältere von vergessenen Formen, in
ihrer wohlmeinenden Rauheit dem spiegelnden Licht trotzten und nur die
vordrängenden Büschel ihrer Hasenhaare leise silbern erschimmern ließen.
Beim Durchwandeln des Kirchhofeinganges an der grasigen Mauer vorbei
fing die Witwe abermals zu weinen an. Es erging ihr wie den meisten, daß hier beim Eintritt in die kühle Feierabendluft der Gräberstatt und
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