Die Erzaehlungen 1900-1906
gut geht. Es geht
Ihnen doch gut?
O ja, wir können zufrieden sein.
Und damals – sagen Sie mir, Julie, denken Sie nie mehr an damals?
Was wollen Sie von mir? Lassen wir doch die alten Geschichten ruhen! Es
ist gekommen, wie es kommen mußte und wie es für uns alle gut war, meine
ich. Sie haben schon damals nicht recht nach Ilgenberg hereingepaßt, mit allen Ihren Ideen, und es wäre nicht das Richtige gewesen –
Gewiß, Julie. Ich will nichts Geschehenes ungeschehen wünschen. Sie sollen
nicht an mich denken, gewiß nicht, aber an alles andere, was dazumal schön
und lieb war. Es ist doch unsere Jugendzeit gewesen, und die wollte ich noch einmal aufsuchen und ihr ins Auge sehen.
Bitte, reden Sie von anderem. Für Sie mag es anders sein, aber für mich
liegt zuviel dazwischen.
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Ich sah sie an. Alle Schönheit von damals hatte sie verlassen, sie war nur
noch Frau Herschel.
Allerdings , sagte ich grob und hatte nichts dagegen, als nun der Mann
mit zwei Flaschen Wein zurückkam.
Es war schwerer Burgunder, und Herschel, der sichtlich kein Weintrinker
war, begann schon beim zweiten Glase anders zu werden. Er fing an, seine
Frau mit mir zu necken. Als sie nicht darauf einging, lachte er und stieß sein Glas an meines.
Zuerst wollte sie Sie gar nicht ins Haus haben , vertraute er mir an.
Julie stand auf.
Entschuldigen Sie, ich muß nach den Kindern sehen. Das Mädel ist nicht
ganz wohl.
Damit ging sie hinaus, und ich wußte, sie würde nicht zurückkommen. Ihr
Mann machte zwinkernd die zweite Flasche auf.
Sie hätten das vorher nicht
sagen dürfen , warf ich ihm vor. Er lachte nur.
Lieber Gott, so grätig ist sie schließlich nicht, daß sie das übelnimmt.
Trinken Sie doch! Oder schmeckt Ihnen der Wein nicht?
Der Wein ist gut.
Nicht wahr? Ja, sagen Sie, wie war denn das nun damals mit Ihnen und
meiner Frau? Kindereien, was?
Kindereien. Doch tun Sie besser, nicht davon zu reden.
Gewiß – freilich – ich will ja nicht indiskret sein. Zehn Jahre ist es her,
nicht?
Verzeihen Sie, ich muß es vorziehen, jetzt zu gehen.
Warum denn schon?
Es ist besser. Vielleicht sehen wir uns ja morgen noch.
Na, wenn Sie durchaus gehen wollen –. Warten Sie, ich leuchte Ihnen. Und
wann kommen Sie morgen?
Nach Mittag, denke ich.
Also gut, zum schwarzen Kaffee. Ich begleite Sie ins Hotel. Nein, ich be-
stehe darauf. Wir können ja dort noch etwas zusammen nehmen.
Danke, ich will zu Bett, ich bin müde. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau, bis
morgen.
Vor der Haustür schob ich ihn ab und ging allein davon, über den großen
Marktplatz und durch die stillen dunkeln Straßen. Ich lief noch lange in der kleinen Stadt herum, und wenn von irgendeinem alten Dach ein Ziegel gefallen wäre und hätte mich erschlagen, so wäre es mir auch recht gewesen. Ich Narr!
Ich Narr!
Nebel
448
Am Morgen wachte ich zeitig auf und beschloß, sogleich weiterzuwandern. Es
war kalt, und ein Nebel lag so dicht, daß man kaum über die Straße sah.
Frierend trank ich Kaffee, bezahlte Zeche und Nachtlager und ging mit langen Schritten in die dämmernde Morgenstille hinein.
Rasch erwarmend, ließ ich Stadt und Gärten hinter mir und drang in die
schwimmende Nebelwelt. Das ist immer wunderlich ergreifend zu sehen, wie
der Nebel alles Benachbarte und scheinbar Zusammengehörige trennt, wie er
jede Gestalt umhüllt und abschließt und unentrinnbar einsam macht. Es geht
auf der Landstraße ein Mann an dir vorbei, er treibt eine Kuh oder Ziege oder schiebt einen Karren oder trägt ein Bündel, und hinter ihm her trabt wedelnd sein Hund. Du siehst ihn herkommen und sagst grüß Gott, und er dankt; aber
kaum ist er an dir vorbei und du wendest dich und schaust ihm nach, so siehst du ihn alsbald undeutlich werden und spurlos ins Graue hinein verschwinden.
Nicht anders ist es mit den Häusern, Gartenzäunen, Bäumen und Weinberg-
hecken. Du glaubtest die ganze Umgebung auswendig zu kennen und bist nun
eigentümlich erstaunt, wie weit jene Mauer von der Straße entfernt steht, wie hoch dieser Baum und wie niedrig jenes Häuschen ist. Hütten, die du eng benachbart glaubtest, liegen einander nun so fern, daß von der Türschwelle der einen die andere dem Blick nicht mehr erreichbar ist. Und du hörst in nächster Nähe Menschen und Tiere, die du nicht sehen kannst, gehen und arbeiten und
Rufe ausstoßen. Alles das hat etwas Märchenhaftes, Fremdes, Entrücktes, und
für Augenblicke empfindest du das Symbolische darin
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