Die Erzaehlungen 1900-1906
vom Flusse her ein Mann oder Herr
in gutem Anzug mit einer hellbraunen Ledertasche in der Hand in ruhigem
Schritte gegangen, schaute blinzelnd den lichten Platz hinauf, rückte spielend am steifen Hut und schritt sicher über den ganzen Markt dem Trefzischen
Hause zu, in dessen Tor er verschwand. Im kühlen Flur rüttelte er an bei-
den Türen und schien ärgerlich darüber, daß keiner der Angestellten da war.
Dann stieg er rasch die Treppe empor, läutete an der Glastüre und trat, als
ihm aufgemacht war, sogleich ins Wohnzimmer, das eben erst von den beiden
Trösterinnen verlassen war. Er nahm den Hut vom blonden Kopfe, blickte um
sich und rief:
Mama, wo bist du denn?
Gleich, gleich!
rief sie von hinten her.
Ach grüß Gott, Hermann!
Grüß Gott.
Er nahm die Hand, die sie ihm entgegengestreckt hatte, und nach einem
verlegenen Husten fragte er mit veränderter, leiser Stimme:
Lebt er noch?
Die Frau, die seit dem frühen Morgen im Zeuge und noch zu keinem Seuf-
zer gekommen war, sank plötzlich auf einen Sessel, brach in Tränen aus und
schüttelte den kleinen Kopf. Verwirrt und etwas unmutig tat der Sohn ein
paar Schritte. Die Frau war schnell wieder aufrecht.
Willst du zu ihm?
fragte sie.
Nachher. Wann ist er denn –?
Heut nacht, oder eigentlich, es war schon Morgen.
Und da sie ihn är-
gerlich werden sah, fügte sie schnell hinzu:
Ich habe dir gleich nochmals
telegraphiert.
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So, so , sagte er.
Ja, ich will einmal hinübergehen. Ist er im Schlafzim-
mer?
Sie ging mit ihm, und als sie das verdunkelte Schlafzimmer betraten, nahm
sie seine Hand. Leise führte sie ihn zu des Vaters Bett, wo er schweigend
stehenblieb, und stieß alsdann einen Fensterladen auf. Da kam ein Streifen
von goldenem Tageslicht in die Düsternis und schien bis zum Lager des Toten
hinüber. Dieser lag steif mit geradegerichteten Gliedern und festem Gesicht, und der Sohn beugte sich über ihn. Erfühlte, daß ihm nun eine Traurigkeit
wohl anstünde, und er hätte gern eine Träne gezeigt. Doch als er eine kleine Zeit in das väterliche Gesicht geblickt hatte, fand er es seinem eigenen so
ähnlich, daß ihm war, er sehe sich selber alt und tot, und darüber faßte ihn ein Grauen, so daß er einige Zeit bewegungslos verharrte und den Blick nicht von dem Toten trennen konnte. Darauf ging er behutsam, zog den Laden
wieder zu und winkte der Mutter, hinauszukommen.
Das heutige Mittagessen im Hause Trefz war nicht bedeutend, und der Sohn,
der seines Vaters Natur hatte, mußte an sich halten, um nicht ein Wort des
Tadels zu sagen. Und die Witwe spürte es und merkte wohl, daß sie statt des
alten Tyrannen, der drüben lag, nun einen jungen habe. Freilich, sie konnte
wegziehen, konnte sich losmachen, niemand konnte sie zwingen, die Magd im
Hause zu bleiben. Allein sie wußte wohl, sie würde doch bleiben und das
alte Leben würde weitergehen, nicht besser und nicht schlimmer. Wer einmal
nachgegeben und ein halbes Leben lang einen fremden Willen über sich gehabt
hatte, der muß stärker im Rückgrat sein als die Frau Trefz, wenn er nochmals ein eigenes und freies Leben beginnen will.
Nach Tisch kam Besuch. Zuerst der Aktuar Kleinschmied, dann der Ober-
amtmann. Gegen’den Aktuar benahm sich der Herr Dr. Trefz freundlich, doch
würdevoll, für den Oberamtmann aber hüllte er sich in Verbindlichkeit und
feine Lebensart. Er war gesonnen, seine Zugehörigkeit zum obersten Rang der
städtischen Gesellschaft von allem Anfang an zu betonen.
Am späteren Nachmittag erschienen, noch immer mit schwarzen Röcken an-
getan, der Gehilfe und der Schreiberknabe, die der Doktor hatte holen lassen.
Sie mußten im Hinterstüblein die soeben vom Drucker gekommenen Todesan-
zeigen falzen, in schwarzrandige Umschläge stecken und adressieren. Sie taten ihre Feiertagsröcke ab, arbeiteten in Hemdärmeln und taten widerwillig und
beschämt ihre Pflicht, wie Hündlein, die einen unerlaubten Ausgang taten
und nun zurückgepfiffen, sich ihrer Abhängigkeit erinnern. Unwillig durchlas der Gehilfe den ersten Trauerbogen, der ihm in die Finger kam:
Nach Got-
tes unerforschlichem Ratschluß entschlief heute früh gegen sechs Uhr unser
heißgeliebter Gatte und Vater, Schwager und Oheim Anton Friedrich Trefz,
Notar
usw.
Wenn der feierlich traurige Ton dieser Trauerbotschaft nicht völlig echt
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war, so waren es dafür auch die Kundgebungen der Besucher und Tröster
nicht alle. Man wußte wohl, daß die kleine
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