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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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    und breite Gestalt gleich der seines Vaters Achtung gebot und baldige Unent-
    behrlichkeit ahnen ließ.
    Mancher Altersgenosse sah mit Neid zu, wie er von Tag zu Tag gedieh
    und Glück hatte. Man sah: dies war ein Mann, dessen Weg zu städtischen und
    gesellschaftlichen Ehren führte, zur Mitgliedschaft vieler Vereinsvorstände und Ausschüsse, zum Hauptmann der Feuerwehr, zum Gemeinderat und vielleicht
    noch weiter hinauf. Neidlose Zuschauer hatten ihre Wonne an diesem Aufstieg
    eines künftigen Großen und genossen in seinem Anblick den Glanz der Heimat,
    sie empfanden diesen Sieger als ihresgleichen, als einen glänzenden Vertreter ihrer Rasse und Art, und bei dem großen Kreis dieser Gutgesinnten ward er
    mit den Jahren, wie es einst sein Vater gewesen war, zum Symbol und schönen
    Ausdruck echten Gerbersauertums.
    Bedauerlicherweise ergab sich zwischen ihm und dem Künstler Lautenschlager,
    der ihn schätzte und beinahe bewunderte, kein freundschaftliches Verhältnis.
    Die beiden waren nahezu Altersgenossen, sie kannten sich von den Schuljahren her und hatten sich bei den seltenen Anlässen, da sie einander etwa wieder
    begegnet waren, geduzt und als Schulkameraden begrüßt. Nun aber, da Trefz
    diesen Menschen zum Mitbürger haben und ihm täglich auf der Gasse begeg-
    nen sollte, trat eine tiefe Abneigung gegen ihn zutage, wie er sie kaum gegen einen andern Landsmann empfand. Er hatte eine Begrüßung mit ihm vermieden und ihn, so oft sie sich unterwegs begegneten, mit gemessenem Gruß
    abgetan, und Lautenschlager war darauf eingegangen, er hatte genau in der-
    selben Weise zurückgegrüßt, sogar mit einer Note von Hochachtung, aber er
    hatte dabei seinen kühlen, untersuchenden Malerblick nicht abstellen können, und eben dieser Blick war dem Notar im Herzen zuwider. Erfand ihn spöttisch
    oder doch zu prüfend und heimlich überlegen, obwohl er nicht so gemeint war, und er stellte sich öffentlich ohne Rückhalt zu denen, die den Künstler als
    einen meinetwegen begabten, aber verbummelten und nicht ernstzunehmen-
    den Menschen bezeichneten.
    Nun geschah es an einem Wintertag kurz vor Weihnachten, daß Dr. Trefz
    zur gewohnten Stunde den kleinen Salon des Barbiers Ölschläger betrat, sich
    in seinen Sessel niederließ und, da es Sonnabend war, den an diesem Tage stets aus der Hauptstadt eintreffenden
    Hans Sachs
    verlangte, ein beliebtes Witz-
    blatt, das zu halten in den guten Familien nicht wohl anging, das die jüngeren Herren aber im Wirtshaus oder beim Friseur zu finden und zu betrachten
    gewohnt waren. Der Barbier, der dem vornehmen Kunden zuliebe einen Rei-
    senden, dessen Bedienung er eben begonnen, dem Gehilfen überlassen hatte,
    riß lächelnd den grauen Papierumschlag von einer daliegenden Postsendung,
    schälte das Witzblatt heraus und übergab es dem Doktor.
    Sie sind der erste,
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    der es liest, Herr Doktor, es ist erst vor zehn Minuten angekommen.
    Trefz, dem diese Viertelstunde beim Friseur immer eine erwünschte Ruhe-
    pause war, legte seine Zigarette auf den Rand des marmornen Tisches und ent-
    faltete, während Ölschläger ihm die Serviette umband, mit Behagen den neu-
    en >Hans Sachs<. Der Barbier arbeitete behende mit Seifenpinsel und Schale, stets bedacht, den Gast nicht zu stören, und dieser beschaute mit Vergnügen
    das Titelblatt, das einen bekannten Politiker als Wöchnerin karikiert darstellte. Weiter kam eine Gerichtsszene, die einen wider das Witzblatt schwebenden Prozeß darstellte und worin die Figur des Hans Sachs als Verurteilter zu sehen war, jämmerlich nach gefallenem Spruch sich zum Henker wendend, der
    ihn grinsend erwartete. Und wieder kam ein politisches Blatt, und dann kam
    eine Seite, darunter stand >Eleganz in Krähwinkel< und kaum hatte Trefz das Blatt übersehen, so faltete er es zusammen und steckte es in seine Tasche. Der Barbier, über die heftige Bewegung erschrocken, wich mit dem Rasiermesser
    vorsichtig zurück und erlaubte sich einen fragenden Blick.
    Herr Trefz aber erklärte sich nicht. Nur beim Weggehen bat er um die
    Erlaubnis, das Blatt mitzunehmen, die der Meister wohl oder übel gewähren
    mußte. Die Zeichnung aber, die von diesem Augenblick an den Notar, den Bar-
    bier und die Stadt interessierte, stellte den Dr. Trefz dar, im Gehrock dekorativ allein in weißer Fläche stehend, in der linken Hand eine große Pfingstrose, in der rechten den Zylinderhut haltend. Als Witz war diese Zeichnung weiter
    nicht bedeutend, sie zeigte nur

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