Die Erzaehlungen 1900-1906
leise angedeutet in einigen komischen Falten einen stillen Widerstreit der sehr tadellosen Kleidung mit dem Körperbau
und den Bewegungen ihres Trägers, dieser selbst aber war als Typus feister
Bürgerlichkeit schön und lustig, mit mehr Liebe als Bosheit dargestellt, und das Blatt war von Hermann Lautenschlager gezeichnet.
Die Stadt hatte nun wieder eine Gelegenheit, sich über den frivolen Künstler zu erzürnen und dabei verschwiegen sich über den Streich zu freuen, der diesmal einen Angesehenen und Allbekannten traf, und die Nummer des >Hans
Sachs< ging überall von Hand zu Hand, wo der Betroffene nicht in der Nähe war. Dieser selbst bekam nichts davon zu hören und konnte mit aller Bemühung nicht feststellen, welches die Meinung der Mitbürger über die Ungeheuer-
lichkeit sei. Denn wagte er es, im Gespräch darauf leise anzuspielen, so wollte man entweder gar nichts wissen, oder man lächelte leicht und tat so, als sei diese Sache doch nicht wert, daß davon gesprochen werde.
Dennoch reiste Trefz eines Tages nach der Hauptstadt, unter Mitnahme der
schlimmen Zeichnung, und sprach bei einem angesehenen Rechtsanwalt vor,
der ihn kollegial empfing und dem er seinen Wunsch mitteilte, den Zeichner
dieses ehrenrührigen Bildes wegen gerichtlich zu belangen. Der Rechtsanwalt
lächelte ganz leicht, als er das Blatt betrachtete, und sagte:
Ja, das habe
ich auch gesehen. Übrigens ein prachtvoller Zeichner. Und Sie meinen also, er 461
habe Sie persönlich in beleidigender Absicht karikiert? Ein gewisser Anklang von Ähnlichkeit ist ja vorhanden, gewiß. Aber das kann für Sie ebensogut eine Ehre sein. Der Reichskanzler ist schon zwanzigmal im >Hans Sachs< karikiert worden und hat noch nie geklagt.
Der Anwalt schloß damit, daß er von der Klage ernstlich abriet, und Trefz
als kluger Mann sah wohl, daß er durch öffentliches Verhandeln die Sache
nicht besser machen könne. So ließ er davon ab, behielt aber im Herzen einen bitteren Haß gegen den schändlichen Maler, dessen höflichen Gruß er von nun
an nicht mehr erwiderte. Mehrmals noch nahm der Künstler beim Begegnen
seinen Hut vor dem Doktor ab, bald ehrfurchtsvoll, bald ironisch, dann gab
auch er es auf, mit dem Manne in ein Verhältnis zu kommen, und ließ ihn
laufen.
Es war Hochsommer geworden, und die in dem engen, tiefen Flußtal unbe-
weglich hängende Schwüle machte den empfindlichen Maler so krank, daß er
tagelang zu Hause liegenblieb und kaum zu den Mahlzeiten ausging. Er litt
häufig an solchen Depressionen, die ihn manchmal zum Wein in die Gasthäuser
und zu einem recht unfeinen Zecherleben, manchmal auch auf ziellose Ausflüge ins Gebirge trieben, von welchen er verwahrlost und abgerissen wiederzukeh-ren pflegte, und diese Unregelmäßigkeiten hatten viel zu seinem schlechten
Ruf beigetragen.
Nach einigen schlaflosen Nächten und mutlos kranken Tagen raffte Lauten-
schlager sich eines Abends auf und verließ seine Wohnung in der hochgelegenen Vorstadt. Er trug seinen gewöhnlichen leichten Sommeranzug und hatte einen
alten Lodenkragen auf dem Arm, dazu eine große blecherne Botanisierbüchse
auf dem Rücken, und in der Hand einen altmodischen, seltsamen Spazierstock,
den er von seinem Vater geerbt hatte und der, von oben bis unten aus einem
gelben starken Holz geschnitzt, einen auf einem Bein stehenden schlanken
Storch darstellte, welcher den Kopf nach unten bog und den spitzen Schnabel
nachdenklich auf die Brust gedrückt hielt.
Mit dieser Ausrüstung hatte der Sonderling seit seinen einsamen und un-
behüteten Jugendjahren viele seiner schönsten und auch übelsten Zeiten hin-
gebracht. Stock und Blechbüchse, Mantel und Wanderhut waren ihm Freund
und voll von Erinnerungen. Langsam und schwerfällig stieg er an den letzten
Häusern der Stadt vorüber bergan und ins Freie, wo er bald im abendlichen
Walde verschwand.
Er ging nicht den Wegen nach, sondern quer durch Wald und Schluch-
ten, die er von Kind auf kannte, und im Bergansteigen fühlte er mit dem
Tannengeruch und Abendwind tröstlich die Erinnerungen an hundert solche
Waldnächte heraufsteigen. Aufatmend sah er von der letzten Höhe auf die
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Stadt zurück, wie sie klein und gedrückt in ihrem engen Kessel lag, und er
wußte wie jedesmal: ob seine Flucht ihn bis in ferne Länder oder nur bis zum nächsten Hügelzug führen werde, ob sie Tage oder Wochen dauerte, er würde
doch wieder heimkehren, in Gerbersau leben und alle Kraft seines armen
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