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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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trägt es doch einen
    berühmten Namen, ist ein Erstlingsbuch und überdies ein Privatdruck, dann
    aber ist es für feinere Liebhaber auch interessant und rührend, von einem so berühmten eiskalten Bühnenroutinier ein Bändchen sentimentaler Jugendlyrik
    zu besitzen.
    Kurz, man sucht das kleine Ding mit Leidenschaft, und ein tadelloses, unbe-
    schnittenes Exemplar davon gilt für unbezahlbar, namentlich seit auch einige amerikanische Sammler danach fahnden. Dadurch wurden auch die Gelehrten aufmerksam, und es existieren schon zwei Dissertationen über das rare
    Büchlein, von welchen die eine es von der sprachlichen, die andere von der
    psychologischen Seite beleuchtet. Ein Faksimiledruck in fünfundsechzig Exem-
    plaren, der nicht neu aufgelegt werden darf, ist längst vergriffen, und in den Zeitschriften der Bibliophilen sind schon Dutzende von Aufsätzen und Notizen darüber erschienen. Man streitet namentlich über den mutmaßlichen Verbleib
    jener dem Brand entgangenen hundertsiebzig Exemplare. Hat der Autor sie
    vernichtet, verloren oder verkauft? Man weiß es nicht; seine Erben leben im
    Ausland und zeigen keinerlei Interesse für die Sache. Die Sammler bieten ge-
    genwärtig für ein Exemplar weit mehr als für die so seltene Erstausgabe des
    Grünen Heinrich . Wenn zufällig irgendwo einmal die fraglichen hundert-
    siebzig Exemplare auftauchen und nicht sofort von einem Sammler en bloc
    vernichtet werden, dann ist das berühmte Büchlein wertlos und wird höchstens noch zuweilen neben andern lächerlichen Anekdoten in der Geschichte der
    Bücherliebhaberei flüchtig und mit Ironie erwähnt werden.
    (1902)
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    Der lustige Florentiner
    Nicht weit vom Palazzo Pitti hatte ich eine jener seltenen kleinen Weinstuben entdeckt, die noch den einfachen, aber behaglichen alten Florentiner Typus
    haben und in denen der Chianti reiner, besser gekellert und billiger ist als in den modernen Osterien. Es war ein schmaler, niedriger Raum im Erdgeschoß,
    der von Möbeln nichts enthielt als die üblichen Marmortrinktische und zwei
    Dutzend dreibeinige Holzstühle. Dennoch sah die Stube durchaus nicht leer
    und nüchtern aus, denn unter der Decke liefen die ganzen Wände entlang zwei
    tiefe Regale, in denen eine Menge von Fiaschi, Bottiglien, Bottiglietten sowie Würste, Schinken, Körbchen mit Früchten dekorativ und verlockend ins Auge
    fielen. Die eine Ecke des Raumes war für leere Flaschen reserviert, die in großer Anzahl, teilweise zerbrochen, herumlagen. An der weißgetünchten Wand hing
    ein tüchtiger Kupferstich, die Badia vorstellend, neben einem lithographierten Porträt des unvermeidlichen Vittorio Emanuele.
    Eines Abends brachte ich zwei Bekannte mit in diese Kneipe, einen Dresde-
    ner Maler und einen Heidelberger Studenten, der sich ein unmögliches Thema
    zu seiner kunstgeschichtlichen Dissertation ausgesucht hatte und nun schon
    seit zwei Monaten in Toskana bummeln ging, ohne die Belege für seine hin-
    term Ofen ersonnenen Kombinationen finden zu können. Wir ließen uns einen
    Fiasko Chianti geben und aßen unsere bescheidenen Salamibrötchen dazu,
    unser gewöhnliches Abendessen. Nur der Maler, der ein erkleckliches Reisesti-pendium genoß, leistete sich außerdem ein Gericht Vermicelli al sugo. Bei dem ausgezeichneten Wein entspannen sich bald die jugendlichen Gespräche, die
    seit Jahrzehnten in jedem italienischen Wirtshause alltäglich erklingen – über die Schönheiten der Kunst, über das Elend unserer heutigen Kultur und über
    die absolute Notwendigkeit, neue Lebensformen im Sinne einer künstlerischen
    Renaissance zu schaffen. Es wird bei solchen und ähnlichen Gesprächen von
    jungen Deutschen manche Nacht in Italien verbracht und mancher Fiasko
    Wein geleert; die klugen und genügsamen Italiener aber sitzen daneben und
    sehen sich die blonden, meist brillentragenden Reformatoren aus dem Norden
    mit unverhohlenem Spott und stummer Überlegenheit an.
    Während ich zufrieden trank und schwieg und meine Cavour rauchte, und
    während der Maler, der erst heftig mitgesprochen hatte, die Karikatur einer
    60
    liegenden Venus auf die blanke marmorne Tischplatte strichelte, redete der
    Kunsthistoriker allein und eifrig drauf los, schrie uns an, als wären wir an allen Übelständen schuld, und bewies, daß die ganze moderne Kunst einen
    blauen Teufel wert sei. Dabei richtete er zuweilen den Blick gegen den ab-
    seits hantierenden Wirt, der dann jedesmal einen Augenblick stillstand und
    den Redner mit

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