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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Werkstatt etwas anderes als ein kleines unvernünftiges Kind. Trotzdem ist mir zuweilen, wenn ich zurückdenke, wunderlich zumut wie dem Bauer, der über die dritte Stunde hinaus von seinem Dorf weg geht. Nicht daß ich lieber zeitlebens ein Kind geblieben oder
    als Kind gestorben wäre, nein. Aber es ist mit dem Leben so wie mit einem
    schönen Spielzeug, das man Kindern verspricht. Nun warten sie und warten
    und sterben schier vor Begier und Ungeduld nach dem schönen Ding. Und
    dann bekommen sie es endlich und haben’s in Händen, und spielen damit und
    sind eine Stunde lang wie bezaubert vor Glück, aber die Stunde vergeht und
    dann sehen sie, daß es eben auch nur ein Ding wie andre war, und der Zauber
    ist fort. Darum möchte ich wohl zu manchen Zeiten wieder für eine Stunde
    ein Kind sein können. Nicht der Kindheit wegen denn Kinder sind auch Men-
    schen und haben nicht so reine Seelen, wie in Büchern von ihnen steht. Aber
    ich möchte mich noch einmal so auf das Leben freuen und so den Himmel vol-
    ler Geigen hangen haben. Denn damals, wenn ich über die Berge sah, glaubte
    ich die Welt wie ein farbiges, zauberhaftes Bilderbuch dahinter aufgeschlagen liegen, voll von prachtvollen Städten, gewaltigen Strömen, kräftigen wilden
    Männerhänden, Abenteuern und Verlockungen.
    Auf diese Dinge machte mich die Lisabeth sehr neugierig. Sie war schon alt
    und hatte niemals so in die Welt hinein schauen dürfen, wie sie gerne getan
    hätte. Nun gab sie die ganze Unruhe ihres alten Herzens in mein junges Gemüt herüber und träumte und freute sich mit mir so wie ein Zurückbleibender dem
    Abreisenden Pläne machen und schwärmen und sich freuen hilft.
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    Abends gingen wir oft zu ihr hinüber, meine Mutter und ich. Dann war
    es sonderbar zu sehen, wie meine Mutter über unsre Gespräche freundlich
    und traurig hinweg lächelte, als wäre für sie die alte, kluge Lisabeth auch
    nur ein Kind. Meiner lieben Mutter war durch meinen Vater und auch durch
    meine Geburt, die Jugend genommen worden, und erst manches Jahr später
    erzählte sie mir, daß sie damals, als sie mit mir schwanger war, am liebsten ins Wasser gegangen wäre und vielleicht bloß um meinetwillen geblieben sei.
    Damals aber fiel mir ihr stilles Wesen noch nicht auf. Wenn sie mich einmal, wie es beim Schlafengehen nicht selten geschah, an den Schultern mit beiden
    Händen festhielt und mir lang in die Augen sah, dann erwiderte ich ihren Blick still und ernsthaft, ohne viel zu denken, und schlief dann ein. Vielleicht saß sie alsdann noch lang an meiner Bettstatt und ließ den Blick ihrer braunen Augen auf meinem Bubengesicht ruhen, ihrer Vergangenheit und meiner Zukunft
    nachdenkend. Manchmal hat sie mir eine Unart scharf verwiesen, mich auch
    ein paar Male mit Schlägen gestraft, sonst aber ließ sie mich in meiner Art
    heranwachsen und suchte mehr im stillen durch Gebet und Beispiel auf mich
    zu wirken.
    Mit den Bauernbuben war ich viel zusammen, aber war nicht ihresgleichen.
    Ich hielt mich für klüger und besser als sie, und sie fühlten mich als Fremden und mißtrauten mir immer ein wenig. Im stillen verachteten sie mich wahrscheinlich, denn ein rechter Bauer verachtet jeden andern Stand von Herzen
    und glaubt sich dem Oberamtmann so überlegen wie dem Schulmeister. Wenn
    ich aber unter den Buben war, so gehorchten sie mir meistens, denn ich war
    immer ihr Hauptmann und Anführer. Außerdem war ich ein starker Kerl,
    knochig und groß, und wußte meine Fäuste zu brauchen. Einmal schlug ich
    im Streit dem Schulzenbuben einen Zahn aus und mußte beim Schulzen dafür
    bittere Buße tun. Eigentlich lag das Schlagen, Mißhandeln und Grobsein nicht in meiner Natur, ich war eher beschaulich; aber an manchen Tagen war ich
    bösartig und wie ausgewechselt. Dann widersprach ich auch der Mutter und
    quälte sie durch mein trotziges Wesen.
    Ich weiß noch so einen Tag. Die Mutter hatte mich wegen eines dummen
    Streiches gescholten. Ich lief weg, es war keine Schule, und trieb mich in den Scheunen herum. Um Mittag kam ich zurück und wollte essen. Da sollte ich
    erst um Verzeihung bitten und Besserung versprechen. Das war sonst nicht
    meiner Mutter Art. Ich war trotzig, warf den zinnernen Teller hart auf den
    Tisch und lief wieder fort, ohne gegessen zu haben. Bis zum Abend schlenderte ich draußen umher oder lag im Wald überm Bach und lauschte auf die Forellen.
    Am Abend ging meine Mutter mich suchen und rief nach mir durch die Gasse
    und in der Ruine

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