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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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und bei der Lamm-Linde. Ich hörte sie meinen Namen rufen,
    gab aber keine Antwort und kam erst zwei Stunden später heim, als es schon
    ganz Nacht war. Die Mutter saß im finstern Zimmer, ich kam herein und grüßte 76
    nicht. Sie stellte mir schweigend mein Essen zurecht, und schweigend aß ich
    und ging zu Bett, von wo aus ich sie zuerst beten und dann weinen hörte. Mir tat das Herz weh vor Reue und Leid, aber als sie mit der Kerze an mein Bett
    kam, stellte ich mich schlafend. Aber es war mir sehr schlecht zumute.
    Im ganzen war ich ein lebhaftes und gar nicht sanftes, aber gutartiges Kind.
    Nur sehnte ich mich und wartete im stillen begierig auf die Zeit, da die schöne große Welt mir aufgehen und ich ein freies Leben in meine eigenen Hände
    nehmen würde. Wenn die Mutter mich gelegentlich einmal, leider allzu sel-
    ten, in die zwei Stunden entfernte Oberamtsstadt Calw mitnahm, dann lachte
    mir das Herz. Und in Calw betrachtete ich die Häuser und Schaufenster und
    Wirtsschilder, ich besah mir die Kaufleute und die Beamten und besonders
    die staatlichen Handwerker nicht mit der bloß glotzenden Bewunderung des
    Bauern, der doch im Ernst nichts auf der Welt ernst nimmt als den eigenen
    Stand, sondern ich beschaute sie mit aufrichtiger Bewunderung und mit der
    festen Hoffnung, später selbst einmal ihresgleichen zu werden.
    In der Schule war ich obenan. Zwar zeigte ich, nachdem ich einmal geläufig
    lesen gelernt hatte, wenig Eifer mehr; aber die Aufgaben der ländlichen Volks-schule waren leicht und meine Altersgenossen waren mir an Gaben unterlegen,
    so daß ich stets der erste war und ohne Mühe weiterkam. Nebenher las ich
    Kalender und Volksbüchlein aus dem Vorrat der Boten-Lisabeth, und hie und
    da eine aus der Stadt her verirrte Zeitung, aus denen ich meine Vorstellung
    vom Leben erweiterte und neuen Stoff zu unersättlichen Träumen schöpfte. Da
    aber gereichte mir eben meine Begabung beinah zum Schaden. Der Schullehrer
    nämlich nahm mich aufs Korn, lobte mich vor jedermann und lief unablässig
    bald zum Schulzen, bald zu meiner Mutter mit der Mahnung, mich auf die
    Calwer Lateinschule zu schicken, denn ich müsse studieren.
    Damals hatte ich alle Lust dazu. Das heißt, nicht zum Studieren, sondern
    nach Calw zu gehen, denn das schien mir der erste Schritt ins gelobte Land zu sein. Auch die Lisabeth war auf meiner Seite und hielt mir die Stange. Später aber sah ich ein, daß es nicht wohlgetan war. Es ist und bleibt falsch, daß man für solche, die nicht Buchgelehrte werden sollen, die Schule zur Grundlage der ganzen Ausbildung macht. Außerdem war damals der Lehrplan unsrer kleinen
    Lateinschulen so altmodisch unpraktisch, daß im spätem Berufsleben meistens
    die Volksschüler den Lateinern überlegen waren.
    Zum Glück war ich schon zu alt, um das Latein rasch genug nachholen
    zu können, denn Lateinisch begann man damals schon mit acht Jahren. So
    wurde ich als
    Nichtlateiner
    in die dritte Klasse nach Calw geschickt, das
    heißt ich ging, ebenso wie einige Schicksalsgenossen, zwar in die Lateinschu-le, lernte aber kein Latein, sondern wurde während der Lateinstunden mit
    etwas Zeichnen, Französisch und dergleichen Sachen beschäftigt. Auch hier
    lernte ich leicht, ohne aber eigentlich eine Freude daran zu haben. Wir lernten 77
    die Stämme Israels und die linken Nebenflüsse des Neckars auswendig, und
    einige Geschichtszahlen; im übrigen schien unter unsern Lehrern ein stilles
    Übereinkommen darüber zu bestehen, daß es ja doch unmöglich sei, irgend
    etwas Nützliches und Wirkliches in der Schule zu lernen, darauf ließen sie sich denn gar nicht ein, und wenn ich gelernt habe einen Ahorn von einer Linde zu unterscheiden und ein Kalb von einem Esel, so verdanke ich es nicht ihnen.
    Die Ansicht des Lehrers und meiner Mutter war nun, da es ohne Latein
    mit dem Studieren doch nichts war, ich solle nach Ablauf der Schuljahre und
    Erwerbung des Einjährigen-Zeugnisses Kaufmann oder Schreiber werden. Ich
    ließ sie meinen und reden, ohne viel dazu zu sagen. Ich selber wußte ganz
    genau, daß ich niemals weder ein Kaufmann noch ein Notar oder Beamter,
    sondern ein Handwerker werden würde, und zwar war es schon früh das Schlos-
    serhandwerk, auf das ich meine Wünsche richtete. In Calw war ich zu einer
    Base der Lisabeth für sehr billiges Geld in Kost gegeben, wozu die Gemeinde
    einen kleinen Zuschuß bewilligte, und von nun an brachte ich nur noch die
    Samstagnachmittage und Sonntage in

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