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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Gaspard, ohne dass er seine Ungeduld zu verstecken suchte. »Hast du es eilig?«, fragte der Comte. Das Du missfiel Gaspard, mehr noch als das alte Gesicht. »Nicht so sehr wie Sie, scheint mir«, antwortete er, ehe er am Vorhang zog, um einen Blick auf die Straße zu werfen. Der Comte lachte: »Ich habe zwei Schritte von den Jacobins eine Junggesellenwohnung.« – »Tatsächlich?«, fragte Gaspard. Hatte er den Mann unterschätzt? »Der Vermieter ist eine Vertrauensperson«, fügte d’Annovres hinzu. Gaspard lächelte, dann ergriff er die Hand auf der Decke, hatte das Gefühl, eine Wurzel anzufassen, und sein Druck sagte: Ich gehöre Ihnen. In den gelb umrandeten Augen blitzte ein sinnliches Leuchten auf. »In diesem Fall«, sagte der junge Mann, »bleibt mir nur, dir zu folgen.«
    Die Rue des Petits-Champs, wo sich das Junggesellenapartment befand, lag an der Mauer des Palais, nicht weit von der Place des Victoires, dem Zoll und der Großen Post. Die Nähe zu den Tuilerien gefiel Gaspard. Beim Anblick des Hauses, vor dem die Droschke hielt, erzitterte er vor Genugtuung. Ein schweigsamer, bleicher Hausmeister begrüßte den Comte in der Dunkelheit einer Eingangshalle und übergab ihm die Schlüssel zur Wohnung. Gaspard nahm an, dass er über sein Kommen unterrichtet war, denn in einem der schmucken, bescheiden möblierten Salons brannte ein Kaminfeuer. Beim Betreten der Wohnung war sofort klar, dass sie im Gegensatz zum Stadthaus der d’Annovres nach dem Geschmack des Grafen eingerichtet worden war. Der Schein der Flammen züngelte die Wände empor, als sie ins Zimmer traten, schweigend ihre Jacken auszogen und abzuwägen versuchten, welche Geste als Nächstes zu tun war. »Es sind nur vier Zimmer«, sagte der Comte und setzte sich auf das Sofa. »Das ist perfekt«, antwortete Gaspard. Dann ging er mit brennender Kehle auf das Feuer zu und ließ sich neben dem Comte nieder. Der Mann legte eine Hand auf seine Wange und beugte sich vor, um ihn zu küssen. Sein Atem roch scharf, sein Speichel hatte den Geschmack von kaltem Tabak. Wortlos knöpfte er Gaspards Anzugjacke und Hemd auf, betrachtete seinen nackten Oberkörper. Dann zog er sich selbst aus. In den Falten seiner Haut spielte das Licht, das der Kamin verbreitete. Unter dem eingefallenen Bauch waren bläuliche Adern zu sehen. Der Körper war schmächtig, seine fliehenden Schultern verschwanden im Halsfortsatz. Auf seinem Oberkörper spross zwischen zwei dunklen Brüsten wie ein Dornengestrüpp die Behaarung, die Gaspard bereits bemerkt hatte. Die Linien dieses Körpers erweckten wie schon das Gesicht des Comte in der Droschke bei dem jungen Mann einen Eindruck der Auflösung. Die Haut schien kurz davor, auf den Boden zu fließen, und das Fleisch, dem auch das Feuer keine lebendige Farbe zu geben vermochte, sah aus wie tot, strömte einen faden Geruch aus. »Komm«, sagte der Comte d’Annovres mit einer Stimme, aus der Aufregung sprach. Gaspard folgte ihm in ein Zimmer, das mit einem Bett und einer Kommode ausgestattet war. Er lief hinter diesem Rücken mit den schlaffen Rautenmuskeln her, dieser Epidermis, die aussah, als wäre sie knetbar wie Ton, und vor der er am liebsten weit davongerannt wäre. Er verachtete diesen Mann, der sich seiner würdig hielt, der an die Illusion eines geteilten Abenteuers glaubte. Sie zogen sich aus. Der Comte presste seine Lippen auf Gaspards Haut, der vor Ekel schauderte. Nackt hatte er nichts mehr von dem Edelmann, zu dem er innerhalb eines Tages geworden zu sein glaubte, fühlte sich wieder als Strichjunge und Prostituierter, diesem Mann und seinen Gelüsten ausgeliefert, der, ebenfalls entkleidet, nichts als ein weiterer Kunde war. Eigenartig , dachte er, während der Comte ihn karessierte, dass die Nacktheit zwei Männer auf dieselbe Stufe stellt, denn was sind wir im Augenblick anderes als zwei Haufen Fleisch, die versuchen, nur noch einen zu bilden ? Auf Anweisung des Comte legte er sich auf das Bett, auf das dieser bestimmt schon unzählige andere Zufallsbekanntschaften gebracht hatte. Über den Schultern des Mannes erhellte das Kaminfeuer den Raum, und dieses Licht versah ihre Haut mit unpassenden Farben, Ockerbraun, Sienagelb, Pfirsichkernschwarz, wo Gaspard nichts als Blässe und Fahlheit sehen wollte. Die Farbtöne gaben ihrem Liebesspiel eine Textur wie Öl auf einer Leinwand, flößten einer Szene Leben ein, die er sich lieber erstarrt, stumm gewünscht und bereits hinter sich gehabt hätte. Der Comte fühlte

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