Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
sich in seinen Händen schwammig an, als wäre er ausgebeint worden, sein Röcheln streifte Gaspards Haare, sein Ohrläppchen und seine Halsmulde. Ohne den Blick von den schillernden Formen an den Wänden zu nehmen, dachte Gaspard, dass das Übel notwendig, die Verbindung mit dem Comte d’Annovres ein Opfer für den guten Zweck war. Er ist einfach ein weiterer Kunde, sagte er sich wieder. Dann kam ihm der Gedanke, dass er in diesem Gewicht auf seiner Brust ein Instrument und nicht einen Mann sehen musste. Jetzt, da er das Gefühl, beschmutzt zu werden, nicht mehr unterdrücken konnte, war er es, Gaspard, der den Comte missbrauchte, da dieser nichts über seine Absichten wusste. So präsentierte sich die Situation in einem neuen Blickwinkel, zum Ekel gesellte sich tiefste Verachtung, er gab seine Tatenlosigkeit auf und, entschlossen, zu bekommen, was er von dieser Kreatur wünschte, legte er die Hände auf den schlaffen Körper und bedachte ihn mit Zärtlichkeiten.
    An jenem Abend erreichte er, dass er sich in dem Apartment niederlassen durfte, von dessen Existenz die Comtesse nichts wusste, und in den folgenden Wochen bot sich ihm die Gelegenheit, in den Kreis ihrer Stammgäste aufgenommen zu werden. Wie er es geschafft hatte, an nur einem Tag den Fängen von Paris zu entkommen, blieb ihm lange ein Rätsel. Mit der Zeit begann er das frühere Stadium seiner Entwicklung, inzwischen nur mehr eine bleiche Erinnerung, geringzuschätzen. Die Gründe, die ihn dazu geführt hatten, so viel in die Beziehung mit Etienne zu investieren und sich dem ausschweifenden Leben in der Nähe der Schlachthöfe zu überlassen, entzogen sich seinem Verständnis. Er warf sich vor, dumm und naiv gewesen zu sein, zu schlapp, um die Mittel zum Erreichen seiner Ziele zu ergreifen. Manchmal dachte er etwas nachsichtiger: Ich bin eben noch im Aufstieg begriffen, es ist normal, dass ich nur tastend vorankomme . Gab ihm sein Lebenswandel nicht Recht? Schon nach wenigen Tagen war der Graf in ihn vernarrt und ließ zu jeder Tagesstunde durch einen seiner Lakaien flammende Schreiben vorbeibringen. Gaspard antwortete nur selten und wenn, ohne Leidenschaft, zunächst, weil ihm die Dichtkunst romantischer Ergüsse fremd war, dann auch, weil er bemerkte, dass die Distanz, die sein Abscheu von Anfang an errichtet hatte, den Grafen stimulierte. Nie sicher, ihn ganz zu besitzen, verdoppelte er Inbrunst und Aufmerksamkeiten, was Gaspard in Erinnerung rief, dass Etienne seinen Einfluss durch ähnliche Verfahren aufgebaut hatte. So lernte er, die Rührseligkeit des Grafen zu steuern, gab manchmal mehrere Tage lang kein Zeichen von sich, um den Triumph auszukosten, wenn dieser völlig außer sich und glühend vor Erregung ankam, sich ihm zu Füßen warf, um sie zu küssen und sich aller Übel zu bezichtigen. Diese Unterwerfung des Grafen war Grund genug, dachte Gaspard, um sich dafür zu rächen, dass der Mann ihn ausnutzte, und er machte sich ein Vergnügen daraus, sich seiner zu bedienen wie eines Haustieres, einer Marionette, deren Fäden er nach Bedarf zog. Bald verlangte er Geld, um sich ein paar Anzüge zu leisten, mit dem Argument, er könne sich bei der Comtesse nicht immer im selben Gewand präsentieren, ohne Argwohn zu erwecken. Der auf Schonung seiner Gattin bedachte Comte schickte noch am selben Tag einen Schneider vorbei, um seinen Liebhaber einzukleiden. Gaspard beschloss, die Wohnung nach seinem Geschmack einzurichten, forderte, in die Pariser Galerien geführt zu werden, gab bei einem kleinen Meister sein Porträt in Auftrag, hinterließ überall unbezahlte Rechnungen, die der Comte eilfertig beglich, bevor er Gaspard anflehte, vorsichtig und diskret vorzugehen. Doch da man sich an das, was gleichzeitig unfassbar und verhängnisvoll ist, bindet, wuchs die Liebe des Grafen weiter, genährt von den Exzessen des jungen Mannes, für die er nie genug Nachsicht haben konnte. Zweimal die Woche stürzte sich der alte Mann, bei seiner Frau und seiner Tochter ein Diner oder Geschäft vorschützend, in die Rue des Petits-Champs, mit einem Herzen, das klopfte, wie es nur das junger Mädchen tun sollte, was ihn angesichts seines Alters manchmal ein wenig beunruhigte, auch wenn er sich eingestand, dass es seinen Wonnen die Krone aufsetzen würde, in einem Augenblick derartiger Erregung aus dem Leben zu scheiden. Er wusste nicht, dass es für Gaspard keine unerträglicheren Tage gab als diese beiden, die der Existenz des Comte einen neuen Sinn verliehen.

Weitere Kostenlose Bücher