Die Erziehung - Roman
über seinen Körper, das Laken klebte auf seiner Haut. Er glaubte, das Zimmer in Quimper zu erkennen, in dem er einst als Kind geschlafen hatte. Dann erkannte er die Geräusche der Straße, erinnerte sich, wo er wirklich war. Er lauschte auf Lucas’ Schnarchen, der längst von einem Dirnenbesuch zurückgekommen war. Es beruhigte ihn, und er wurde von schläfriger Dankbarkeit überströmt.
Lucas hatte ihm die Hand dargeboten. Lucas hatte ihm eine Arbeit gefunden. Lucas hatte ihn aufgenommen. Lucas hatte ihm eine neue Existenz ermöglicht – diese Existenz.
III
DER TOD
VON MONSIEUR LEGRAND
Nun fand es sich, dass der unerbittliche Fluss, der Gaspard in seine Fänge genommen hatte, ihm auch die unverhoffte Gelegenheit gab, ihm wieder zu entkommen. Die Möglichkeit zur Flucht bot sich in Gestalt eines gewissen Martin Legrand, seines Zeichens Bijoutier, wie Gaspard bald erfahren sollte.
Eines Morgens wachte Monsieur Legrand, der bürgerlich genug war, um ein paar Hausdiener zu haben, wie üblich in seinen seidenen Laken auf, streckte sich ausgiebig, um sich dann, gelockt vom Duft gemahlenen Kaffees aus den Küchen, zu erheben. Er wunderte sich, dass seine Gattin noch nicht aufgestanden war. Die beiden schliefen in getrennten Zimmern, denn Madame Legrand litt an Migräne und ertrug es nicht, während ihrer fortwährenden Anfälle das eheliche Bett zu teilen. Er schickte also eine Dienerin, um an ihre Tür zu klopfen. Das Mädchen kam gerade zurück, als Monsieur herzhaft in ein triefendes Butterbrot biss. Madame wolle nicht aufstehen, Madame antworte nicht. Dabei sei es schon nach sieben, und das entspreche nicht ihren Gewohnheiten, sie, die immer so früh auf den Beinen sei.
Rascheln von Kleidern auf der Treppe, gedämpftes Murmeln. Man klopfte an die schwere Tür. Monsieur Legrand rief, flehte, sie möge ihm antworten. Das Schloss war verriegelt. Doch Madame blieb unerschütterlich, stumm wie ein Fisch. Monsieur war beunruhigt, schließlich liebte er seine Frau über alles, sein Herz raste, sein Klopfen wurde lauter, er kündigte an, er werde Kraft anwenden, die Tür einschlagen müssen. Man machte den Weg frei hinter ihm. Madame wollte nichts hören, nichts sagen. Die Dienstmädchen, graue Mäuschen, beeilten sich erschreckt, aber auch angeregt durch die unerhoffte Zerstreuung, nach einem Zweitschlüssel zu sehen. Und da trat Monsieur zurück, holte Anlauf, legte gesenkten Kopfes los und warf sich gegen die Tür. Die Perücke rutschte vom Kopf, die Strümpfe aus den Hosen, er prallte verdutzt zurück. Die Bediensteten prusteten los. Monsieur bedeckte sich, schwitzte schwere Tropfen, schickte sich zu einem zweiten Versuch an, entschlossen, sich diesmal nicht blamieren zu lassen von der eichenen Tür. Da wurden die Schlüssel gefunden, man atmete erleichtert auf, der Bund klimperte in den zitternden Händen. Endlich ging die Tür auf.
Madame ruhte auf ihrem Bett, das Laken an den Knöcheln, das Nachthemd offen über einem nicht sehr festen Bauch, einer heugelben Vulva ohne Scham. Das Gesicht blau angelaufen, der Mund beinahe gierig geöffnet. Die Arme zeigten starr in Richtung der Füße, die angewinkelten Knie lehnten aneinander, die Hände zogen an einem Tuch. An den gespannten Muskeln war noch der Todeskampf erkennbar. Madame war tot. Monsieur brach zusammen, kniete vor Verzweiflung nieder, während man durch das ganze Haus jagte. Vor dem offenen Fenster blähten und wellten sich die Vorhänge, amorphe Spukgestalten. Der Arzt eilte herbei, verlangte eine Autopsie, Monsieur jedoch hörte nichts, wusste nichts mehr, stimmte allem zu, selbst der Gehaltserhöhung, die das Personal forderte. Der von Schmach und Schande umhüllte Körper wurde weggetragen. Man versprach rasche Ergebnisse und Antworten. Doch Madame war nicht mehr, und Monsieur pfiff auf die Antworten. Er irrte durch die Stadt, während das Bürgertum, dem es an Schmuck oder Beileid fehlte, sich empört vor seinem geschlossenen Laden scharte. Monsieur hatte nie Zweifel gehegt an der Aufrichtigkeit seiner Gemahlin. Er wusste nicht, dass sie ihre Migräne stets erfunden hatte, dass sie das Pfefferminzöl aus dem Fenster schüttete, für das er ein Vermögen ausgab und das die Eigenschaft besaß, Kopfweh und Unwohlsein zu lindern, das ihr aber in Wirklichkeit nicht bekam. Er wusste nicht, dass sie alleine schlief, um seine Anstürme nicht erdulden zu müssen, weil sie jene des Duc de Rangis vorzog, der oft auf Durchreise in Paris war und sein Glied mit
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