Die Erziehung - Roman
schrie die Frau unter einem Regen von Haaren hervor, vom Wochenbett fettig und struppig. »Was ist los?« Die Geburtshelferin wich zurück, die Hände voller Fruchtwasser. Sie brachte kein Wort heraus. Ihr Mund öffnete sich, doch kein Laut trat über die Lippen. Plötzlich ergriff sie die Flucht, rannte durch die Tür und ließ die Frau in ihrem Zustand allein. Der Mann, der draußen gewartet hatte, betrat das Zimmer und musste den Atem anhalten. Es roch wie in einem Schlachthof, und seine Augen weiteten sich wie zuvor die der Hebamme.
»Was meinst du, was er zwischen den dicken weißen Schenkeln seiner Frau sah, he, was sah er wohl?«, fragte die Mutter den kleinen Gaspard, der ihre Worte aufgesaugt hatte. »Er sah etwas, das weißer noch war als die verschmierten Schenkel der Frau, als würde sie ein riesiges Ei ausbrüten. Und sie kämpfte, um es aus ihrem Körper zu pressen, entsetzt über das Unnennbare, das sie an dem bestürzten Gesicht ihres Mannes ablas, der nun mit der einen Hand zwischen ihre Beine fasste. Das Ei war kein Ei, es war ein Kopf. Ein Kopf von der Farbe der Stoßzähne eines Elefanten, der in einem Bad aus Blut glänzte wie eine schleimige Zyste. Die Frau packte den Kopf, drückte ihre Finger in die schwammartige Fontanelle, zerrte an ihm und holte ihn aus sich heraus, brüllend vor Schmerzen und Entsetzen. War das Ding endlich aus ihr heraus, verkroch sie sich tief in die Bettlaken, während die Plazenta noch immer aus ihrer Vulva floss. Es war ein Kind. Ein dickes Kind, vollkommen geformt, das schrie, wie alle Neugeborenen schreien, umgeben von der weißlichen vernix caseosa . Es war so weiß, dass es in der Dunkelheit des Zimmers zu leuchten schien. Seine milchige Haut fing das Licht auf und verfärbte sich leicht blau. Die Frau schrie auf bei der grausigen Vorstellung, in ihrem Bauch eine solche Schande beherbergt zu haben. Sie flehte ihren Mann an, das Schreien des Kindes, das aus dessen Alabastermund drang, zum Schweigen zu bringen. Das Kind hatte Hunger. Vom Instinkt geleitet und vom Geruch jener, die es als Teil seiner selbst wiedererkannte, suchte es die mütterliche Brust. Entsetzt ergriff der Mann ein Lakenende, überwand seinen Ekel und steckte den Stoff in die kleine samtene Mundhöhle des Kindes, stopfte sie vollständig zu. Die Eltern sahen zu, wie sich das Kind abkämpfte, den Kopf hin und her warf, dann langsam erstickte und ein klein wenig verblasste. Es bewegte sich nicht mehr, wurde grau, wie versilbert.«
»Albinismus«, flüsterte die Mutter Gaspard zu. Sie setzte jede Silbe sorgfältig ab.
Er ging durch die stickige Rue Saint-Antoine, vorbei am Kloster der Grands-Jésuites. Ein paar Straßen weiter umschlang die Seine mit ihren Armen die Insel Saint-Louis. Links von ihm führte die Rue Geoffroy-L’Asnier zum Fluss hinunter, doch Gaspard schaute nicht hin. Schon immer hatte ihm vor dem weiblichen Geschlecht gegraut. Diese schmierige, obskure Höhle in ihrem absurden, undurchdringlichen Gestrüpp flößte ihm Schrecken ein. Ursprungsort, unvermeidlich im Leben eines jeden Menschen, Tempel der Mütterlichkeit, der Schöpfung. War es nicht genau das, was die Männer im Sexualakt suchten, ein wenig von dieser Mütterlichkeit herauszulocken, die in jeder Frau nistete, weibliche Essenz, die sie in ihrem Körper eingeschmiegt glaubten wie den Kern in einer Frucht? Dies dachte Gaspard, als er die Place Baudel überquerte und Saint-Gervais hinter sich ließ. Das war es, was Lucas bei den Huren von Paris suchte, die Illusion von ein wenig Liebe, reiner Liebe; nach dem bisschen Mutter in jeder Frau. Gaspard erinnerte sich an seinen Widerwillen gegen die Elternliebe. War ihm denn nicht überhaupt jede Art von Liebe fremd? Er hatte keinerlei Bewusstsein davon, kein Bedürfnis danach. Die Kirche Saint-Jean, an das Hôtel de Ville gebaut, zeigte auf den flammenden Himmel vor einem schwarzen, samtenen Hintergrund. Droschken fuhren vorbei, die Mauern warfen das Echo der Hufe zurück, die entschlossen auf den Boden hämmerten. Sein Puls beruhigte sich endlich. Die schlechte Pariser Luft hatte eine heilende Wirkung. Von der Place de Grève am Ende der Rue de la Vannerie folgte ihm ein Betrunkener, doch er nahm ihn kaum wahr, da in seinem Kopf permanent das Bild der perlweißen Missgeburt herumschwirrte. Gaspard war nicht bekannt, dass in Afrika, von dessen Existenz er nichts wusste, von Albinismus befallene Kinder als Gotteskinder angebetet wurden. Hatte er wirklich Quimper hinter sich
Weitere Kostenlose Bücher