Die Erziehung - Roman
stieß die Tür zur Straße auf und ließ einen rachsüchtigen Wind hereinfegen, der das Feuer zum Flackern brachte. Eine Herde grauer Gesichter, Lumpen in unbestimmten Farben, bewegte sich auf das Grand-Châtelet zu. Es wurde lebhaft gesprochen, und Gaspard verstand, dass man eine Exekution vorbereitete und diese Leute allesamt dorthin strömten. Pausenlos jagten Böen durch die Rue Saint-Germain-l’Auxerrois, warfen die Fetzen auf, blähten die Röcke, enthüllten die dicken Wollstrümpfe, zerrten an den Umhängen. Kein auch noch so entfesseltes Element hätte den entschlossenen Pöbel von dem Galgen ablenken können, den die Tischler aufgestellt hatten. Gaspard fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog. Er wollte Etienne, der mit entschlossenem Schritt voranging, an der Schulter packen, doch diese entzog sich seiner Hand, und so folgte er ihm. Mütter schleppten ihre Kinder, manchmal drei oder vier, über den Platz. Ein bunter Menschenhaufen, erregt durch die Aussicht auf etwas Zerstreuung, marschierte wie eine Armee, die sich durch nichts von ihrem Ziel abbringen ließ. Diese Flut schwemmte in Wellen Alte und Krüppel, Arbeiter und Handwerker, Weißnäherinnen und Schweinehändler heran. Auch der eine oder andere Bürger kam herbeigeeilt, zögerte nicht, den Ellbogen einzusetzen, um etwas tiefer in dieses schwankende Elend einzutauchen. Die Damen rafften mit beiden Händen ihre Kleider. Von ihren Unterröcken tropfte bereits der Schlamm. Die Männer bahnten sich den Weg, als teilten sie die monotone Masse mit dem Säbel. Die Place de Gesvres war wie verwandelt. Es herrschte unaussprechliches Chaos. Von weitem schien dieses fantastische Menschengewühl ein einziges unförmiges, wogendes Wesen zu sein. Es hatte die Farbe von Schlick und Schlamm, eine Stimme aus hundert Schreien. Über ihren Köpfen bemerkte Gaspard den Galgen und ein dickes Seil, das ein Bursche ans Gerüst knüpfte. Etienne kämpfte sich noch rücksichtsloser durch das Gedränge der Gaffer, um so nahe wie möglich zu sein. Gaspard tat es ihm nach, doch die Nähe zu diesen Häuten in ihren groben Stoffen beklemmte ihn bereits; der säuerliche Geruch der Körper zwang ihn, das Gesicht in die Luft zu strecken, um den Wind aufzufangen. Kieselsteine prallten gegen den Galgen, Obst und Gemüse schlugen am Holz auf, brachen auseinander und verspritzten ihre Innereien. Die Handwerker hoben die Arme, um die Geschosse abzuwehren, beeilten sich, mit ihrer Arbeit zu Ende zu kommen. Ringsum entrüstete man sich, hisste aber die Kinder auf die Schultern und stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können, verfluchte die zu Großen, die zu Dicken, flehte, etwas zur Seite zu treten. Endlich blieb Etienne an einer Stelle stehen, wo man einen ausgezeichneten Blick auf den Galgen hatte. Die immer weiter anwachsende Menge drückte sie vorwärts. Ein einäugiger Mann presste sich an Gaspard, der seinen Atem roch, den Gestank aus seinem halb offenen Hemd. Er stieß ihn durch einen Schlag in die Seite zurück. Der Kyklop stöhnte auf und entfernte sich maulend. Das Warten war greifbar und mit ihm die Erregung, die Stimmen und Gesten anheizten. Etienne sprach, doch Gaspard hörte nichts von dem, was er sagte, begnügte sich mit einem Kopfnicken und setzte seinen Kampf gegen das Zertrampeltwerden fort. Er fragte sich, wie ein Mann vom Rang Etiennes sich freiwillig der Berührung mit diesem Mob aussetzen konnte. Die Luft wurde knapp, schnürte ihm die Kehle, als würde sie von zwei Händen zugedrückt. Er wäre am liebsten weit weg geflüchtet, fort von den Schatten, die sich schamlos in seinen Rücken bohrten. Fast eine Stunde verging, die durchfrorene Menge trat von einem Fuß auf den anderen, brüllte wie mit einer Stimme. Die Kinder schrien vor Ungeduld, das dunkle Meer warf sich immer wieder, ohne die geringste Vernunft, in Richtung Galgen.
Endlich stieg ein Mann auf das Podest, entrollte das Urteil. Seine Stimme wurde auf der Stelle von einer Flut von Beschimpfungen und Jubelschreien überdeckt. So schnell, wie er aufgetaucht war, verschwand er wieder. Die Ungeduld erreichte ihren Höhepunkt. Endlich führte ein Henker unter einer Kapuze der Menge einen unscheinbaren Mann vor. Der Teint fahl, die Haare gräulich, senkte er den Kopf, ohne dem dantischen Menschenauflauf sein Gesicht zu zeigen. Sobald er in Sichtweite war, brach ein Geschrei aus. Die Geschosse auf den Verurteilten verdoppelten sich. Er krümmte sich beim Aufschlag der Steine, der Saft von
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