»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
Bezeichnung dieser Produkte in den Speisekarten zu erkennen.« Das bedeutet im Klartext: Bei Imitaten haben amtlicher Kontrolldruck und Strafandrohung bislang praktisch nichts bewirkt, hat die Überwachung durch die Lebensmittelbehörden versagt.
Dabei klingt das Wort Imitat so harmlos, man denkt vielleicht an einen Kabarettisten, über den man lacht, weil er lustig einen Politiker imitiert. Aber wenn jemand etwas als Schinken verkauft, das eher einer schnittfesten Gel-Masse mit minderwertigen Fleischstückchen entspricht, dann ist das Betrug und überhaupt nicht mehr zum Lachen.
Doch damit nicht genug: Dieser tägliche millionenfache Betrug an uns Verbrauchern geschieht in aller Öffentlichkeit und ist seit Jahren bekannt. Da haben sich große Teile einer Industrie offenbar längst komplett vom Anspruch verabschiedet, gute, vollwertige und gesunde Produkte für unsere Ernährung herzustellen und diese mit verständlicher Kennzeichnung auf den Markt zu bringen. Und wie reagiert darauf das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, das hier nur stellvertretend für die anderen Landesämter steht? Stoisch und mit großer Akkuratesse dokumentieren die Beamten – seit 1993! – den kontinuierlich fallenden Fleischanteil in Kochpökelware.
Und sonst?
Und sonst gibt das Amt zusätzlich »Verbrauchertipps« im Internet. Kleine Farbbilder zeigen zum Teil recht unansehnliche, viereckige Fleischbrocken in rötlichen bis gräulichen Farbtönen, daneben stehen Angaben über den Anteil von Fleisch und fleischfremdem Wasser (bis zu 41 Prozent). Und schließlich der Ratschlag: »Achten Sie vor allem in Gaststätten, soweit das möglich ist, auf Farbe und Struktur des ›Schinkens‹ oder ›Vorderschinkens‹ auf der Pizza und fragen Sie nach, ob tatsächlich Schinken oder Vorderschinken für die Gerichte verwendet wird. Oft werden die Pizzen im Gastraum gebacken, so dass es möglich ist, die verwendeten Zutaten vor dem Backen in Augenschein zu nehmen.«
Was hier zum Ausdruck kommt, ist die Kapitulation der Kontrolleure vor der Macht der Industrie. Die Ratschläge mögen gut gemeint sein, tatsächlich sind sie ein Offenbarungseid: Der Staat ist ganz offensichtlich nur noch in der Lage, den massenhaften Verstoß gegen Gesetze festzustellen und in Schaubildern im Internet und in Broschüren für den Verbraucher aufzubereiten; doch er ist unfähig, den Betrug am Kunden auch nur annähernd einzudämmen. Deshalb sollen sich die Gaststättenbesucher jetzt selbst schützen, indem sie sich vor dem Essengehen auf den Internetseiten amtlicher Verbraucherschützer schlau machen. Kaltschnäuzig delegiert die Politik ihren Schutzauftrag an diejenigen zurück, die sie schützen soll und rät ihnen noch dilettantisch, in der Pizzeria doch bitte schön dem Pizzabäcker auf die Finger zu schauen. Das ist die Privatisierung des Verbraucherschutzes, das Eingeständnis, vor den Interessen der Wirtschaft die Waffen zu strecken. Es ist ungefähr so, als würde die Polizei bekanntgeben, dass massenweise Falschgeld im Umlauf ist, ohne die Blüten aus dem Verkehr zu ziehen, stattdessen erklärt man den Bürgern, wie sie die Geld-Imitationen von echten Scheinen unterscheiden können. Auf dem Lebensmittelmarkt sind rechtsstaatliche Prinzipien offenbar außer Kraft gesetzt.
Mit der Aufforderung an den Verbraucher, er solle seinen Gastwirt kontrollieren, liegen die Behörden übrigens voll auf der Linie derer, die sie kontrollieren sollen. »Gucken Sie genau und häufiger hin. Bei dieser enormen Produktpalette müssen sich Kunden informieren, damit sie hinterher keine Enttäuschung erleben«, meinte etwa Matthias Horst, Hauptgeschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. ( BLL ) in einem Interview, nachdem die Verbraucherzentrale Hamburg Mitte 2009 eine lange Liste von Lebensmittel-Plagiaten präsentiert hatte. Dazu gehörten unter anderem Schokoladenkekse ohne Schokolade, dafür mit viel billigem Schokoladen-Imitat; Garnelen, die sich als gepresstes Fischeiweiß in Garnelenform entpuppten; Bio-Vollkorntoast-Brötchen, die nur zu 60 Prozent aus Vollkornmehl bestanden, obwohl die entsprechenden Leitsätze für Brot und Kleingebäck einen 90-prozentigen Anteil vorschreiben.
Der Verbandsfunktionär hätte sich besser mit folgenden Worten hingestellt: »Liebe Verbraucher, wir schämen uns für die Kollegen unserer Branche, die offenbar vom Interesse geleitet sind, Sie hinters Licht zu führen. Wir
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