»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
erscheinen die enthaltenen Nährwerte. Und so operieren die Essensfälscher mit Portionen, die völlig an der Realität vorbeigehen: Sie beziehen ihre GDA -Werte zum Beispiel auf eine halbe Tiefkühlpizza oder auf eine winzige Handvoll von Erdnüssen – als würde jemand vor dem Fernseher nur 25 Gramm Erdnüsse knabbern, als würde der durchschnittliche Konsument eine Tiefkühlpizza in den Ofen schieben, aber nur die Hälfte davon essen. In den USA , wo sogar die Behörden gegen das Problem kämpfen, stehen Kartoffelchips in den Regalen, die ihre Nährwertangaben auf den Verzehr von sechs(!) Chips beziehen; auf Eiscremes wird mit Portionsgrößen von einer halben Tasse (1 Cup = 120 Gramm) gerechnet, die Angaben auf verpackten Muffins beziehen sich auf einen halben(!) Muffin; für Frühstücksflocken wählten die Hersteller eine dreiviertel Tasse als Portion, auch wenn die meisten Kinder eher zwei oder mehr Tassenfüllungen zum Frühstück verdrücken. Suppen mit dem Namen »Healthy Choice« (Gesunde Wahl) des Herstellers ConAgra Foods, die aussehen, als wären sie für eine Person bestimmt, enthalten jedoch zwei Portionen. Der Nährwert-Vergleich von Produkten unterschiedlicher Hersteller, die sich auf unterschiedliche Portionsgrößen beziehen, wird so zur unzumutbaren Rechenaufgabe im Supermarkt, die ohne Stift und Block unmöglich ist. BLL -Chef Matthias Horst hätte gewiss frühzeitig die Waffen gestreckt.
Trick Nummer zwei beim GDA -Modell betrifft die andere Nährwert-Zahl auf den Verpackungen: Es steht dort ein Prozentwert, der angibt, wie viel Fett, Zucker, Salz oder gesättigte Fettsäuren man mit der jeweiligen Portion zu sich nimmt, und zwar relativ zum »Richtwert für die Tageszufuhr eines Erwachsenen«. Klar, dass regelmäßig nur einstellige oder sehr niedrige zweistellige Prozentwerte herauskommen, wenn eine allzu knappe Portion ins Verhältnis zum Tagesbedarf gesetzt wird, und das auch noch zum Tagesbedarf eines Erwachsenen. Beispiel: Nestlés Frühstücksflocken »Trio«, die sich durch ihre »Vollkorngarantie« einen mächtig gesunden Anstrich geben und durch ihre spezielle Aufmachung mit Tieren und Comic-Figuren auf der Verpackung deutlich auf Kinder zielen. Laut GDA decken die Flocken nur sechs Prozent des täglichen Kalorienbedarfs (einer erwachsenen Frau) ab und nur 12 Prozent des täglichen Zucker-Richtwertes – unter der Voraussetzung allerdings, dass sich der »Trio«-Esser mit einer 30-Gramm-Mini-Portion begnügt. Ein Kind, das jedoch drei dieser Portionen verfrühstückt, was keineswegs abwegig ist, nimmt damit – ohne Milch – bereits 340 Kalorien zu sich. Bei der Ampel-Version bekämen Nestlés Flocken beim Zuckergehalt ein Rot, weil sie zu etwas mehr als einem Drittel(!) aus Zucker bestehen.
Ob Frühstücksflocken oder Light-Produkte, ob Würzsaucen oder Kinderprodukte, Fertiggerichte oder Tiefkühlware – das Kennzeichnungssystem der Wirtschaft präsentiert regelmäßig harmlos erscheinende Zahlenwerte, die zudem nur mit dem Taschenrechner zu interpretieren und unbrauchbar für den Vergleich mit anderen Produkten sind. Die Zielrichtung der ganzen Übung ist sonnenklar: Es soll verschleiert werden, welche Lebensmittel in Wahrheit Zucker- und Kalorienbomben sind. Das Verstecken von Fett, Zucker oder Salz in Wurst, Käse, Backwaren, Süßigkeiten und Getränken wird regelrecht zum Prinzip durch GDA . Wären diese Lebensmittel mit den Ampelfarben gekennzeichnet, würden die mit einem enormen Marketingaufwand platzierten Werbebotschaften über angebliche »Fitness«, »Schlanksein« oder »Wohlbefinden« plötzlich in sich zusammenfallen. Die Unternehmen könnten nicht länger Kalorienkracher als Gesundheitsprodukte schönrechnen. Denn viele Verbraucher würden durch die Ampel den unauflösbaren Widerspruch zwischen Werbeaussage und Nährwertangaben erkennen. Zum ersten Mal würden sie – weil durch die Ampelfarben verständlich dargestellt – wahrnehmen, welche Lebensmittel sehr zuckerhaltig, sehr salzig und sehr fettreich sind. Einige Verbraucher, vielleicht viele, würden allmählich ein besseres Bewusstsein für ihre Nahrungsmittel entwickeln und auf längere Sicht auch ihr Ernährungsverhalten verändern – also genau das, was eine Nährwertkennzeichnung tatsächlich leisten soll.
Ja, die Ampel ist der Versuch, über eine transparente, verständliche Kennzeichnung Verbraucherverhalten zu steuern, weil das Laissez-faire der vergangenen Jahrzehnte wirkungslos blieb
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