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»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen

Titel: »Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Bode
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belegt, dass die Nährwert-Ampel von den Verbrauchern gut verstanden wird, während die GDA -Kennzeichnung der Industrie viele verwirrt. Die Marktforscher zeigten rund 1000 repräsentativ ausgewählten Befragten zunächst eine Packung Frühstücksflocken der Sorte »Trio« von Nestlé mit der GDA -Kennzeichnung, wie sie im Supermarkt erhältlich ist. Im Vergleich mit anderen Frühstückscerealien enthalten die »Trio«-Flocken mit 37 Prozent objektiv sehr viel Zucker. Dies konnten mit Hilfe der GDA -Kennzeichnung 63,8 Prozent, also nicht einmal zwei Drittel der Befragten richtig erkennen. Einer zweiten Gruppe mit ebenfalls rund 1000 repräsentativ ausgewählten Befragten zeigten die Marktforscher dasselbe Produkt mit der Ampelkennzeichnung. Hier erkannten deutlich mehr Verbraucher, nämlich 88,9 Prozent, dass Nestlé-»Trio« »sehr viel« oder »viel« Zucker enthält. Noch drastischer fielen die Unterschiede beim zweiten Test aus. Hier sollten die Befragten Nestlé-»Trio« mit einem zweiten Frühstückscerealien-Produkt von Nestlé, den »Fitness Fruits«, vergleichen, die weniger Zucker enthalten. In der Verbrauchergruppe, die beide Produkte mit Ampel-Kennzeichnung zu sehen bekam, erkannten 92,1 Prozent der Befragten richtig, dass »Trio« mehr Zucker enthält als die »Fitness Fruits«. In der GDA -Gruppe konnte nur jeder Vierte, nämlich 25,8 Prozent, diesen richtigen Schluss ziehen. Eine große Mehrheit von fast 70 Prozent der Befragten wurde durch die Industriekennzeichnung auf die falsche Fährte gelockt und hielt das zuckrigere Produkt (»Trio«) für das zuckerärmere. Ein vernichtender Befund für die Gegner der Ampel, wenn die GDA -Kennzeichnung nicht einmal bei Produkten ein- und desselben Herstellers einen Vergleich der Nährwerte zulässt. Und dennoch ereifern sich die Spitzenverbände der Branche über Kritik an ihrem Kennzeichnungsmodell, als würde sie von böswilligen Laien vorgebracht. Die Ampel sei »absurd« und eine »Verbrauchertäuschung durch sinnlose Farbenspiele«, sie »verwirre« den Verbraucher nur und habe deshalb »überhaupt keinen Nutzen«, lässt zum Beispiel der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde ( BLL ) auf Flyer drucken (Zur Erinnerung: Der Hauptgeschäftsführer des BLL ist jener Matthias Horst, der im ZDF mit den »Fruchtzwergen« kämpfte.). Und Jürgen Abraham, Schinkenproduzent und Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie ( BVE ), meint zu wissen, dass die Ampelkennzeichnung »aus wissenschaftlicher Sicht unhaltbar« sei und redet dafür – wie immer – der »eigenverantwortlichen Kaufentscheidung« der Kunden und der »freiwilligen« Nährstoffkennzeichnung der Wirtschaft das Wort.
    Einem Verbandsfunktionär mag man so etwas noch durchgehen lassen, er macht eben seinen Job, wenn auch keinen guten. Dass aber auch Staatsdiener so reden, die dem Ganzen verpflichtet sind und nicht nur den Einzelinteressen von Branchen, ist bitter. So war sich die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Julia Klöckner ( CDU ), beim Neujahrsempfang des BLL Anfang 2010 sicher, dass die Ampelkennzeichnung bei Lebensmitteln »keine wissenschaftliche Grundlage« habe und »keinen Nutzen« bringe. Angesichts von Hunderten, wenn nicht Tausenden von Wissenschaftlern und Ärzten unter den Ampel-Befürwortern ist so eine Behauptung mehr als bemerkenswert. Zu erklären ist solche Ignoranz nur damit, dass Verbände, Unternehmen und Politik in Deutschland seit Jahrzehnten in einem Raumschiff leben, durch dessen Wände nicht mehr dringt, was »draußen« passiert. In solchen Äußerungen schwingt das Denken des vergangenen 20. Jahrhunderts nach, und sie rufen in Erinnerung, dass die schon immer mächtig lobbyierende Lebensmittelindustrie auf ihren Erzeugnissen überhaupt erst seit 1984(!) angeben muss, wer der Hersteller ist, wie groß die Füllmenge ist, welche Zutaten verwendet wurden. Mehr Information ist im Grunde auch bis heute nicht vorgeschrieben.
    In der Auseinandersetzung um Ampel- oder GDA -Kennzeichnung geht es schon lange nicht mehr um die besseren Argumente; es ist ein Kampf um die Rolle und das Selbstverständnis der Lebensmittelindustrie. Die Ampel würde Rezepturänderungen einleiten und sehr wahrscheinlich zu Umsatzeinbußen führen, sie wäre zum Nachteil der Unternehmensgewinne und zum Vorteil der Gesellschaft. Vor allem jedoch ist der Streit um die Ampel ein

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