Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
würde ich eigentlich reagieren, wenn ich freudig die Bäckerei betrete und meine geliebten Topfenkolatschen kaufen will, und dann höre, die letzte ist gerade weg? Ich denke, wenn mir die Bäckerei ihre neue Angebotspolitik als müllvermeidend und klimafreundlich kommuniziert, dann würde ich das schon akzeptieren. Doch, ich glaube schon, dass ich mich überzeugen lassen würde, und viele andere auch. Es müsste nur mal einer versuchen.
Einer, der das Kommunizieren meisterhaft versteht, ist Werner Lampert. Der Pionier des Ökomarketings hatte bei Rewe die Biomarke »Ja! Natürlich« groß gemacht und mit dafür gesorgt, dass der Marktanteil bei Bioprodukten in Österreich heute bei über zehn Prozent liegt – höher als irgendwo sonst in Europa.
Jetzt ist er bei der Hofer KG , der österreichischen Tochter von Aldi Süd. Ausgerechnet Aldi! Doch in Österreich leistet sich der Discounter das ambitionierteste Klimaschutzprojekt, das je ein europäischer Supermarkt gestartet hat. Das liegt an Werner Lampert: » CO 2 wird immer sehr abstrakt diskutiert, das hat mit Industrie und Autos zu tun. Aber keiner kommt auf die Idee, dass CO 2 damit zu tun hat, wie ich mich ernähre.«
In den Hofer-Märkten ist der Biobereich nicht wirklich groß, er macht nur einen kleinen Teil der Fläche aus. Aber auf jedem Produkt klebt ein CO 2 – Label. Keine abstrakte Milligrammzahl, sondern eine verständliche Größe: » CO 2 – Einsparung bei der Herstellung dieser Eier: 49 Prozent.«
Werner Lampert hat das Klimalabel »Zurück zum Ursprung« erfunden. Wir treffen uns auf einem Hühnerhof im steirischen Hügelland, in knapp 1000 Meter Höhenlage. Lampert ist eine knorrige Erscheinung: Mit seinem grauen Rauschebart halte ich ihn zunächst für den Bauern.
An den Hühnerstall grenzt ein weitläufiges Freigelände, auf dem die 1300 Hennen nach Lust und Laune scharren und picken können. Die Bäuerin Getrude Haider füttert die Hühner mit einer Getreidemischung aus der Region.
Und genau das macht den Unterschied: »Bei der Produktion dieser Eier entstehen 49 Prozent weniger CO 2 , und das liegt am Futter. Denn herkömmliche Bauern verfüttern vor allem Soja aus Südamerika«, erläutert Werner Lampert. »Wir setzen Futtermittel ausschließlich aus der Region ein, das ist die Hauptersparnis. Ich denke, Bio macht nur Sinn, wenn es auch regional ist. Sonst wird Bio zum Feigenblatt für den global agierenden Landwirtschaftshandel.«
Um seine Vision umzusetzen, paktiert der Ökovisionär notfalls mit dem Teufel, sprich Aldi / Hofer. Und so ist sein Label jetzt beim größten Discounter Österreichs im Regal: »Was wir essen, bestimmt die Art und Weise, wie Lebensmittel produziert werden. Der Konsument soll sich endlich seiner Macht bewusst werden, er ist enorm mächtig.«
Getrude Haider versteht nicht, wie es so weit kommen konnte: »Das ist doch tragisch. Die Supermärkte sind heute so aufgebaut, wenn du viel kaufst, kriegst du’s billiger, aber dann wird daheim so viel weggeworfen oder vergammelt«, meint die Bäuerin. »Wenn man gute Qualität kauft und ein bisschen besser plant, dann kommt man eigentlich billiger weg, als wenn man viel kauft und dann die Hälfte wegschmeißt.«
Lampert lässt sich auf einem Baumstumpf nieder, inmitten der gackernden Hühner. »Ich bin sicher, da wird noch ein Wandel kommen. Also die Tollheiten, dass die billigen Sachen aus der ganzen Welt herangekarrt werden, das hat bald ein Ende. Weil man sich bald der wirklichen Kosten bewusst wird: Was wird hier vernichtet, wenn wir billige Sachen aus Brasilien importieren? Dann werden Lebensmittel wieder einen vernünftigen Preis haben. Und dann lohnt es sich auch wieder, gute Lebensmittel zu erzeugen.«
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Die Geschichte des Überflusses
In der deutschen Ernährungsgeschichte sind Überfluss, Wegwerfmentalität und Fast Food ganz junge Phänomene. Alles begann vor gut 50 Jahren und schwappte als eine der ersten Globalisierungswellen von den USA herüber. Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ( EWG ) im Jahr 1957 beförderte erstmalig ein einheitliches und normiertes Lebensmittelangebot in den damaligen Mitgliedsländern. Auch Supermärkte und Discountläden waren damals in der Bundesrepublik ein völlig neues System. Der gute alte Tante-Emma-Laden war noch das vorherrschende Prinzip. Der erste Supermarkt in Deutschland wurde zwar bereits 1949 versuchsweise in Osnabrück eingerichtet, aber das Selbstbedienungsprinzip konnte
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