Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
sich nicht durchsetzen, und der Laden ging rasch wieder ein. Erst seit Mitte der 1950er-Jahre führten einige Händler, wie beispielsweise der Edeka-Verbund, systematisch die Selbstbedienung ein. Dies war der erste wichtige Schritt hin zum Wegwerfwunderland. Die aufkommenden Selbstbedienungsläden lösten nach und nach den bis dahin üblichen Thekenverkauf ab und verleiteten dazu, mehr zu kaufen, als man ursprünglich vorhatte, und weckten neue Bedürfnisse. Hinweis Eine Fresswelle überrollte Deutschland.
Gleichzeitig wurde eine staatliche Subventionspolitik ins Leben gerufen, da die deutschen Bauern zu wenig produzierten. Garantierte Abnahmepreise von beispielsweise Milch und weitere Anreize führten zu einem sprunghaften Anstieg der Produktion von Getreide, in der Viehzucht und bei Milcherzeugnissen wie Butter. Ende der 1970er-Jahre überstieg dann die Produktion bereits den Bedarf, es kam zum sogenannten Butterberg und dem Milchsee. Die Preise auf dem europäischen Markt sanken, und der Staat kaufte immer mehr überschüssige Ware und lagerte sie ein. Erst 1984 wurde eine Milchquote eingeführt – Höchstgrenzen für die Produktion, bei deren Überschreiten Abgaben fällig werden – und der Wahnsinn dieser Überproduktion zurückgefahren.
Exotische Früchte zu jeder Jahreszeit
Die neuen Supermärkte boten eine bis dahin nicht gekannte Vielfalt und Auswahl an Lebensmitteln an. Besonders in den Blick fielen exotische Früchte, von denen man nicht einmal den Namen kannte. Gerade schnell verderbliches Obst war bislang nur in der Erntesaison erhältlich, Zitrusfrüchte aus den Mittelmeerländern rar und teuer. Nun wurde das traditionelle Prinzip der Saisonalität und Regionalität erstmalig auf breiter Front durchbrochen. Dies war der zweite wichtige Schritt hin zur Wegwerfgesellschaft.
Ein gutes Beispiel für diesen frühen globalisierten Lebensmittelhandel ist die ursprünglich aus dem südlichen China stammende Frucht Actinidia deliciosa, die Chinesische Stachelbeere. Um 1950 wurde sie erstmals in Neuseeland angebaut und ab 1959 unter der Bezeichnung »Kiwi«, die sich vom gleichnamigen einheimischen Vogel ableitet, nach Europa und Nordamerika exportiert. Ihr Siegeszug als Vitamin-C-Bombe gelang ihr in Deutschland allerdings erst im Laufe der 1970er-Jahre. Aber seitdem gehört sie neben Äpfeln, Orangen und Bananen zu den beliebtesten Früchten. Bananen und Ananas kamen aus Übersee, Südfrüchte vom Mittelmeer und Erdbeeren und Gemüse ganzjährig aus Holland.
Die Deutschen waren bis in die 1970er-Jahre daran gewöhnt, saisonales Gemüse einzukaufen und in der kalten Jahreszeit auf die klassischen Wintergemüse wie Kohl und Kartoffeln zurückzugreifen. Durch Konservierung in Dosen und Gläsern und später mithilfe von Kühlschränken blieb aber auch im Winter und Frühling der Speisezettel abwechslungsreich. Dann allerdings bauten zuerst niederländische und später südeuropäische Unternehmen Obst und Gemüse in immer umfangreicheren Glashauskomplexen an und konnten auf diese Weise bis Ende der 1980er-Jahre eine ganzjährige Versorgung mit den wichtigsten Obst- und Gemüsesorten gewährleisten.
Hocherhitzt und tiefgekühlt wandert Nahrung in den Müll
Mit der Globalisierung der Ernährungsindustrie stellte sich das Problem der Haltbarmachung frischer Waren neu. Traditionelles Räuchern, Einmachen, Pökeln und Trocknen war aufwendig, kostete viel Arbeitskraft und entsprach nicht mehr den Ansprüchen. Zwar hatte bereits 1795 der französische Koch und Konditor Nicolas François Appert die Hitzesterilisation in Glasflaschen erfunden – ein Verfahren, das die Konservendose möglich machte –, aber dabei blieben Geschmack und Vitamine auf der Strecke. Denn sobald Gemüse geerntet wird, tritt auch schon der Verfallsprozess ein. Vitamine lösen sich auf, Bakterien und Pilze vermehren sich und setzen zusammen mit Enzymen das biologische Verderben in Gang. Bereits nach drei Tagen hat frischer Spinat die Hälfte seiner Vitamine verloren.
Aber geschmacklose und oftmals mit Schwermetallen vergiftete Matsche aus verzinntem und gehämmertem Stahlblech war gestern. Heute wird frisches Gemüse unmittelbar nach der Ernte in hygienischen Konserven erhitzt und verpackt. Es werden keine Konservierungsmittel verwendet. Die Dosennahrung ist daher viel besser als ihr Ruf, wie wissenschaftliche Studien belegen: »Bei den fettlöslichen Vitaminen A und E sowie bei wasserlöslichen Vitaminen der B-Gruppe und bei
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