Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
Folsäure kann sich Dosenkost durchaus mit frischer Ware messen. Die Vitaminverluste sind – mit Ausnahme von Vitamin C – eher gering. Die Werte für Eiweiß, Kohlenhydrate, Fett und die Brennwerte bei Fertiggerichten aus der Dose sind im Vergleich mit frischer Ware nahezu identisch.« Hinweis
Die moderne Dose ist daher ein ideales Behältnis für Lebensmittel, schützt vor Licht, Luft und Tierbefall, ist leicht zu lagern und ohne Kühlung bis zu fünf Jahren haltbar. Aber gerade die Dose, eigentlich die ideale Lösung des Wegwerfproblems, steht nicht erst seit Andy Warhols »Campbell’s Tomato Soup«-Poster als Symbol für die amerikanische Überflussgesellschaft. Mehr noch: Diese neuen Methoden der Haltbarmachung sind enorm energieintensiv und haben Überproduktion und Überfluss erst möglich gemacht und befördert.
1958 kam das erste Fertiggericht aus der Dose auf den deutschen Markt: Ravioli in Tomatensoße. Es ist bis heute ein billiger Verkaufsschlager und findet sich tonnenweise im Haushaltsmüll. Als weiterer Meilenstein auf dem Weg zur globalisierten Überflussgesellschaft steht neben der Dose dann die Tiefkühlung: Das schnelle Schockfrosten stoppt das Wachstum von Mikroorganismen. So können Lebensmittel mehrere Wochen, einige sogar über ein Jahr lang gelagert werden. Der Verlust von Vitaminen und Nährstoffen ist im Vergleich zu anderen Konservierungsverfahren auch nach Monaten sehr gering.
1961 brachte in Deutschland die Firma Iglo den ersten tiefgekühlten Spinat auf den Markt. Das Zeitalter der Kühlschränke hatte zwar bereits 1876 mit der Erfindung des deutschen Physikers und Ingenieurs Carl von Linde begonnen, dem es gelungen war, Ammoniak durch Kompression zu verflüssigen, aber erst 1916 wurde die serienmäßige Produktion aufgenommen. Hinweis Industriell massentauglich wurde die Tiefkühlung dann ab 1930 mit der Erfindung des Plattenfrosters – eines Schranks mit gekühlten Platten – und der geschlossenen Tiefkühlkette von der Fabrik bis zu den Gefriergeräten in den Geschäften. Doch es dauerte noch Jahrzehnte, bis solche Geräte flächendeckend Einzug in deutsche Küchen hielten. Vor 50 Jahren kannte kaum jemand in Deutschland eine Pizza, erst recht keine tiefgekühlte. Die italienische Spezialität erreichte uns erst 1966 auf dem Umweg über die USA , als eine tiefgekühlte Minipizza auf der Hausfrauenmesse in Frankfurt präsentiert wurde. Im April 1970 kam dann die erste Tiefkühlpizza aus deutscher Herstellung auf den Markt.
Ein weiterer Markstein der heutigen Konsumgesellschaft wurde 1962 gelegt: In diesem Jahr stellten die beiden Brüder Karl und Theo Albrecht aus Essen das väterliche Lebensmittelfilialunternehmen auf das Discountprinzip um: simple Ladengestaltung, überschaubare und genormte Artikelauswahl, schneller Warendurchlauf und niedrige Preise. Nach diesen Regeln funktionieren heute neben ihren Aldi-Märkten weitere echte Harddiscounter wie Lidl und Discountableger von Supermarktketten wie Netto. Sie machen fast die Hälfte des Geschäfts im Lebensmitteleinzelhandel aus.
Der fünfte und zugleich weitestgehende Schritt hin zur heutigen Konsum- und Wegwerfgesellschaft erfolgte zu Beginn der 1970er-Jahre. 1971 eröffnete der amerikanische Fast-Food-Konzern McDonald’s seine erste Filiale in München. Ketten wie Burger King oder PizzaHut folgten bald diesem Vorbild; die Hendlbraterkette Wienerwald war ein früher deutscher Vorläufer dieses Konzepts. Spätestens seit 1980 war dann die Amerikanisierung der deutschen Ernährungslandschaft flächendeckend eingeführt, der Überfluss etabliert, die regionale und saisonale Küche ausgehebelt und die standardisierte schnelle Nahrungsaufnahme zum Normalfall geworden.
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Hungersnot im Schlaraffenland
Über Tausende von Jahren lebten die Menschen von der Hand in den Mund. Jeden Tag mussten sie erneut auf die Suche nach Nahrung gehen, von kargen Rücklagen zehren oder gar viele Wochen lang hungern. Eine allgegenwärtige Verfügbarkeit von Nahrung im Überfluss galt als märchenhaftes Schlaraffenland, als ein Paradies ohne Hunger und Sorge: Statt Wasser fließen Milch und Wein in den Bächen und Flüssen, gebratene Hähnchen fliegen durch die Lüfte. Die Realität sah viel trüber und entbehrungsreicher aus. Man musste vorsorgen und Methoden entwickeln, die kostbare Nahrung haltbar zu machen und über den Winter zu bringen. Sorgsamer Transport, richtiges Lagern und Schutz vor Nagern, Ungeziefer und
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