Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
traditionellen afrikanischen Kopfbedeckung ist mir Véronique Abounà sofort aufgefallen. Ebenso auffallend ist aber, wie engagiert sie bei der Sache ist. Ein Blick zum Kameramann genügt, wir müssen nicht viel reden, um zu verstehen: Das ist unsere Frau, sie ist die richtige Person, um den Wahnwitz der Überflussgesellschaft zu vermitteln.
Véronique gehört nicht zu den Menschen, die sich mit den Dingen einfach arrangieren: »Das Gemüse und Obst hier kommt aus aller Welt. Auch aus meinem Heimatland Kamerun. Wenn ich sehe, wie das hier auf dem Müll landet, dann tut mir das weh.« Véronique redet sich heiß: »Weil ich weiß, wie teuer das Essen in Kamerun ist. Von dort werden so viele Früchte nach Europa geschickt, und dann verteilt man es hier nicht schnell genug und wirft es einfach auf den Müll. Das tut mir sehr weh.«
Véroniques Stimme überschlägt sich fast: »Kürzlich kam ein Berg von Bananen hier an. Meine Nachbarn in Kamerun, eine fünfköpfige Familie, die können sich noch nicht einmal ein kleines Paket Bananen leisten, so teuer sind die, und hier schmeißt man sie einfach weg. So eine unglaubliche Verschwendung.«
Arnaud schätzt sie, aber ihr muss er offenbar besonders viel erklären. Die Tafel-Läden, die er beliefert, legen großen Wert darauf, dass die Auswahl genauso perfekt aussieht wie im normalen Supermarkt. »Sonst fühlen sich die sozial Bedürftigen ein weiteres Mal stigmatisiert. Wenn hier im Kühlhaus nur Véronique sortieren würde, dann würden wir wohl gar nichts mehr rauswerfen. Nicht mal die Sachen, die ziemlich über sind.« Arnaud hat aber auch Verständnis für sie: »Véronique erzählt uns oft, wie es in ihrem Heimatland ist. In Kamerun haben sie noch ein anderes Verhältnis zu den Lebensmitteln als wir. Es stimmt schon, hier in Europa haben wir die Wertschätzung für die Lebensmittel ein wenig verloren.«
Véronique hat inzwischen mehrere Kisten auf einem kleinen Stapler aufgetürmt, gefüllt mit Obst und Gemüse, das zwar nicht mehr perfekt aussieht, aber eigentlich noch essbar wäre. Sie schiebt die Kisten hinaus und wirft sie in einen großen Abfallcontainer. »Mir wird übel dabei. Weil, es sind viele Dinge hier drin, die noch gut sind.«
»Sie haben ja noch gar nichts gesehen.« Sie gestikuliert erregt mit den Händen: »Wenn Sie dort drüben auf den Großmarkt gehen, dort wirft man die Tomaten tonnenweise weg. Wenn nur eine verfaulte in so einer Kiste ist, dann geht alles auf den Müll. Man könnte sie wenigstens den Pferden geben, es gibt ja viele Pferde hier. Aber nein. Man füttert damit noch nicht mal die Schweine. Was wollen Sie? Wir müssen das wegwerfen, sonst nimmt man uns unsere Arbeit.«
Véronique hält inne und winkt uns her, um uns etwas zu zeigen: »An diesen Müllcontainer kamen immer Leute, um Essen für ihre Familien zu holen. Aber dann haben sie plötzlich einen Zaun hier herumgezogen. Das war erst letzte Woche.« In ihrem Gesicht spiegelt sich Entsetzen: »Sie haben alles zugemacht, damit die Leute hier keine Reste mehr sammeln können.«
Véronique kann sich in die Lage der Sammler gut hineinfühlen, denn als sie vor über zehn Jahren nach Frankreich kam, hat sie selbst nach Resten hier im Großmarkt von Rungis gesucht: »Auch ich habe schon hier im Container gewühlt. Ich kam damals zweimal in der Woche. Mit zwei Einkaufswagen, einem für die Kartoffeln, dem anderen für die Tomaten.«
Sie erzählt schnell, mit unvollständigen Sätzen, als ob sie immer noch auf der Flucht wäre: »Das war nicht einfach. Die Polizei kontrollierte. Ich hatte meinen kleinen Sohn auf den Rücken gebunden.« Véronique lächelt, als sie seinen Namen sagt. »Raphael warnte mich immer: ›Mama, Mama, die Polizei!‹ Die Polizei wollte, dass ich alles wieder wegwerfe. Ich sagte: ›Ich habe keine Papiere, ich sammle nur für mich und mein Kind und nicht, um es zu verkaufen.‹«
Véronique zieht ihre weiße Arbeitsweste aus, darunter kommt eine bunte afrikanische Tracht zum Vorschein. Sie packt ihre Tüte. Lachend zeigt sie mir ihre Beute: Lauch, Tomaten, Kartoffeln. »Manchmal mache ich das heute noch. Wenn ich sehe, dass noch Gutes drin ist, dann hole ich das raus. Der Chef fragt schon mal: Und was ist das? Denn eigentlich darf ich nichts mitnehmen.«
Ich halte nach wie vor den Kontakt, telefoniere von Zeit zu Zeit mit ihr. Mehrere Monate nach unseren Dreharbeiten erfahre ich, dass Véronique entlassen wurde. Es fiel ihr schwer, sich an die Anweisungen
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