Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
in Frankreich sogar schon sechs Tage vor Ablauf weggeworfen. Diesen verschwenderischen Gepflogenheiten will sich auch der Supermarktleiter nicht entziehen: »Das erwarten die Kunden von uns.«
»Man sieht es leider in unseren Mülltonnen, dass Nahrungsmittel bereits vor Ablauf weggeworfen werden«, bedauert Thomas Pocher. »In unserem Supermarkt produzieren wir jedes Jahr zwischen 500 und 600 Tonnen Abfälle. Wir haben das schon reduziert, aber wir stehen auch in der Konkurrenz und müssen eine gewisse Angebotspalette ständig bereithalten.«
Der Direktor baut auf Information: Am Fleischregal zum Beispiel wird darüber informiert, dass die Erzeugung von Rindfleisch stärker zur Klimaerwärmung beiträgt als die von Hühnerfleisch. Doch weggeworfen wird von beidem: »Ich kontrolliere jeden Morgen die Daten und sortiere das heraus, was nicht verkauft wurde«, erklärt Sylvain Sadoine.
Der junge Verkäufer schiebt einen übervollen Einkaufswagen mit abgepacktem Fleisch – Kalb, Lamm, Hühnerbrust – in den Müllraum. Dort wird die Ware ein letztes Mal gescannt, bevor sie im Container landet. Ich frage ihn, was er denkt, wenn er das hier jeden Tag machen muss: »Es tut mir leid um das schöne Fleisch. Aber es ist nicht vorhersehbar, was die Kunden kaufen. Sehr schade, dass man das Fleisch noch nicht mal an eine Hilfsorganisation verschenken kann, weil die Haltbarkeitsfrist superkurz ist. Da kann man nichts machen, es muss in den Abfall.«
Bei Fleisch sieht der Direktor auch keinen Spielraum. Aber bei anderen Produkten beklagt er, dass die Hersteller die Mindesthaltbarkeitsdaten immer mehr verkürzen. »Sie begründen das mit erhöhter Vorsorge«, ärgert sich Thomas Pocher. »Früher hat eine Flasche Mineralwasser anderthalb Jahre gehalten, heute ist das Datum bereits nach sechs Monaten abgelaufen.«
Was er gerne ändern würde in seinem Supermarkt, ist die gängige Politik »1 acheté = 1 offert« (Kauf eins, nimm zwei): »Das verführt die Kunden dazu, mehr zu kaufen, als sie eigentlich brauchen, davon will ich eigentlich weg.« Doch ganz so einfach ist das nicht, denn die Leclerc-Kette organisiert solche »Promos« für alle ihre Märkte im ganzen Land. Thomas Pocher kann hier, auch wenn er der Inhaber ist, nicht einfach ausscheren. Aber er macht keine eigenen mehr, und im Gesamtkonzern setzt er sich für eine Änderung ein.
Die Konzentration im Handel schreitet – ähnlich wie in Deutschland – immer schneller voran: Die sechs größten Lebensmittelkonzerne Carrefour, Leclerc, Intermarché, Auchan, Casino und Système U beherrschen inzwischen 85 Prozent des Marktes. Man könnte die Liste für andere Länder fortsetzen. Die Unternehmen nutzen ihre zunehmende Marktmacht nicht nur, um möglichst niedrige Preise zu erzwingen, ihre Größe ist inzwischen so erdrückend, dass sie eigene landwirtschaftliche Normen festsetzen können. Die Bauern blicken kaum noch durch, weil die Aldi-Normen sich zum Beispiel von den Rewe-Normen unterscheiden, und wünschen sich die guten alten EU – Normen zurück.
Auch im Großhandel konzentriert sich die Marktmacht zunehmend auf wenige. Besonders krass ist es in Frankreich: Als die Regierung sich entschloss, den berühmten »Bauch von Paris« aus dem Viertel »Les Halles« an den Stadtrand zu verlegen, gründete sie den »Marché d’interêt national« (Markt nationalen Interesses). Heute ist er der größte Agrarmarkt der Welt, hierzulande eher bekannt unter dem Namen seines Standorts Rungis.
Größter Andrang ist hier noch vor Sonnenaufgang, Tausende von Lkws fahren an die Rampen riesiger Markthallen, in denen Obst, Gemüse, Meeresfrüchte, Fleisch und weitere Lebensmittel aus aller Welt gehandelt werden. Es ist Mai, gerade sind die ersten Kirschen aus der Provence angekommen und duften verführerisch. Doch im nächsten Gang riecht es schon deutlich muffiger, Schimmel liegt in der Luft.
Wir begegnen dem Marktinspektor Tony Apfelbaum. Mit seinem schwarzen Anzug fällt er unter den ganzen Blaumännern hier auf. Ein Aktenköfferchen unter dem Arm, ein schwungvoller Gang, es fällt sofort auf, dass er hier eine besondere Wichtigkeit hat: »Hier haben wir 880 Orangen-Kisten mit einem Nettogewicht von 8800 Kilogramm. Auf Antrag des Händlers stelle ich jetzt eine Genehmigung aus, dass sie vernichtet werden können.«
Bevor hier verdorbene Ware entsorgt wird, muss sie registriert werden, um Schiebereien zu verhindern. Fast neun Tonnen Orangen – eine riesige Menge, die da in
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