Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
Brotlaiben durch den dichten Verkehr. An jedem Fahrzeug hält er kurz und bietet mit einem schüchternen Lächeln seine Ware feil. Ein Brot kostet umgerechnet 20 Cent. Der Preis erscheint lächerlich. Für arme Kameruner hingegen ist das viel: Sie geben 60 bis 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrung aus. Zum Vergleich: In Deutschland sind es durchschnittlich 12 Prozent.
Joachim von Braun vom Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung warnt vor einem fatalen Teufelskreis: »Brot ist heute fast überall auf der Welt das wichtigste Grundnahrungsmittel, auch in Afrika. Steigende Weizenpreise haben deshalb in vielen Ländern sogenannte Brotunruhen ausgelöst.«
»Afrika importiert inzwischen einen erheblichen Anteil der Lebensmittel. Die Preisexplosionen im Sommer 2008, gefolgt von Demonstrationen in 40 Ländern mit Toten auf der Straße, haben die Welt wachgerüttelt«, analysiert der Entwicklungsökonom, der über zehn Jahre das Washingtoner »International Food Policy Research Institute« ( IFPRI ) leitete.
Bald schon könnte die nächste Welle folgen: »Der nächste Welternährungsschock kommt bestimmt. Keine zwei Jahre nach den ersten Lebensmittelunruhen, die einige Regierungen gestürzt haben, sind 2010 die Preise schon wieder stark gestiegen.« Anfang 2011 haben wir bereits das Preisniveau von 2008 wieder erreicht. Auch die Revolutionen in den arabischen Ländern wurden durch hohe Nahrungsmittelpreise mit ausgelöst. Die Regierungen fürchten dies und subventionieren die Brotpreise, solange sie es sich leisten können. Werden bald weitere Staaten folgen?
Wir fahren nach Douala, mit zwei Millionen Einwohnern Kameruns größte Stadt. Seit den Brotunruhen 2008 sind die Bäckereien in Douala mit stabilen Eisengittern gesichert, um sie vor Plünderungen zu schützen. In der Hafenstadt kommen die Weizenlieferungen aus Europa und Nordamerika an. Über den Hafen von Douala wird halb Zentralafrika versorgt.
Vor einem großen Ozeanriesen steht eine Schlange von Lkws. Ein Bagger holt Weizenkörner aus dem Schiffsbauch und entlädt sie über einem gigantischen Trichter. Von dort rieseln sie in das Innere der Tankwagen, die bis in den Tschad und die Zentralafrikanische Republik fahren.
Wir wollen das Weizenschiff besichtigen. Das kann uns nur der Kapitän erlauben. Eine halbe Stunde warten wir, dann kommt die Nachricht: Ihr könnt hochkommen. Der Kapitän ist Koreaner wie auch seine ganze Crew. Er erzählt uns, dass er 42 000 Tonnen Weizen aus Frankreich geladen hat. Und dass es drei Wochen dauert, bis die ganze Schiffsladung auf Lkws umgeladen ist. Ein Matrose führt uns auf dem Schiff herum. Die Ladeluken sind riesige Löcher, ganze Einfamilienhäuser hätten darin Platz. Hier wird sichtbar, wie sehr Afrika am Tropf der Weizenimporte hängt.
Ursache für die letzte Welthungerkrise waren stark steigende Kurse für Weizen, Reis und anderes Getreide an den Börsen. Auf dem Weltmarkt wird die Nachfrage nach Weizen auch in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Eine Nachfrage, die bei uns in den Industrieländern zur Hälfte im Mülleimer landet.
Joachim von Braun: »Ob wir es nun wegwerfen, indem wir es in den Tank pumpen, oder wegwerfen, indem wir es auf die Müllhalde werfen, oder aus lebensmittelrechtlichen Gründen nicht mal mehr Abfälle an Schweine verfüttern dürfen: Was weg ist, ist weg! Es ist aus der Lebensmittelkette rausgenommen und treibt die Preise.« Der Professor runzelt die Stirn: »Das Schlimmste aber ist, dass die Lebensmittelmärkte sehr viel volatiler wurden. Das heißt, dass die Preise nicht nur hochgegangen sind, sondern auf hohem Niveau schwanken. Und damit können arme Leute nicht umgehen.«
»Wenn sich der Weizenpreis verdoppelt, wie er das 2008 und 2011 gemacht hat, dann können sich die Leute den Gürtel noch so eng schnallen, wie sie wollen, sie können sich eine hinreichende Kalorienversorgung nicht mehr leisten. Und das ist eben vielen Millionen Menschen so gegangen, den Ultraarmen auf der Welt.« Was der Wissenschaftler sagt, geht unter die Haut: »Nun werden Sie denken: ›Aber wenn wir nun am Abend Brot übrig haben, das können wir doch nicht nach Afrika oder nach Bangladesch schicken.‹ Natürlich nicht. Wir schicken es aber schon dorthin, und zwar in negativer Weise durch das Preissignal. Dadurch, dass wir es wegwerfen, geht im Rest der Welt der Preis hoch, und je mehr wir wegwerfen, desto höher ist der Preis. Unser Wegwerfen führt damit indirekt zu Hunger auf der Welt.«
Aber
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