Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
gut. Aber es ist einfach zu viel. Am Ende müssen sie es wegwerfen. Wie oft fanden wir ganze 25-Kilo-Gebinde von gefrorenen Hamburgern oder Hähnchen im Müllcontainer, und das alles nur, weil zu viel bestellt wurde.«
Mit den Fast-Food-Restaurants hatte sich Timothy Jones allerdings einen mächtigen Gegner geschaffen. Über zehn Jahre hatte er die Lebensmittelverschwendung in den USA erforscht – dann wurde sein Universitätsinstitut komplett aufgelöst. In der Ära George W. Bush wurden die Budgets vieler Forschungsstationen zusammengestrichen, sodass sie zunehmend auf Drittmittel aus der Industrie angewiesen waren. An der Müllforschung aber waren die Geldgeber aus der Industrie nicht interessiert.
Als Akademiker stand Timothy Jones damit vor dem Aus. Aber die Schließung seines Instituts ließ ihn nicht verzweifeln, ganz im Gegenteil. Er stellte die Systemfrage: »Wie kann man die Macht der Handelsnormen brechen?« Und gründete eine »Food Coop« in Tucson. Das Prinzip: Eine Gruppe von Verbrauchern schließt sich zusammen, stellt einen oder mehrere Landwirte an – und macht damit den Handel gänzlich überflüssig.
»Wir wollten so viel wie möglich von der Infrastruktur loswerden, die zwischen den Farmen und Haushalten existiert. Die ganzen Einzelhändler, Großhändler, Lagerhäuser, Speditionen. Das ist nicht nachhaltig, braucht einfach zu viel Energie«, erklärt Timothy Jones. »Um all das wieder loszuwerden, macht die Kooperative direkt einen Vertrag mit dem Bauern. Und der Bauer bringt seine Ernte ohne jeden Umweg auf unseren Markt, direkt zum Verbraucher.«
In den USA sind die Kooperativen unter der Bezeichnung »Community Supported Agriculture« ( CSA ) bekannt. Inzwischen ist es eine Massenbewegung, mit über 2500 solcher Kooperativen und Hunderttausenden Mitgliedern überall in den USA .
Dabei gelten streng ökologische Grundsätze: »Wir haben unser Einzugsgebiet begrenzt auf Farmen, die maximal 300 Kilometer entfernt liegen«, so Timothy Jones. Eine davon wird von Frank Martins bewirtschaftet. Auf dem Feld zeigt uns seine Assistentin Lorena die ganze Vielfalt: »Wir haben weiße Karotten gepflanzt, violette, gelbe, orangerote, fast jede Farbe des Regenbogens ist dabei. Damit beliefern wir – neben ein paar Märkten und Restaurants – vor allem die CSA Food Coops.« Dadurch vermeiden sie viel Müll: »Die Idee dahinter ist, wenn die Food Coop 600 Bund Möhren braucht, dann geht Lorena mit dem Team raus und holt die 600 Bund Möhren – nicht mehr. Und deswegen gibt es keinen Müll, weil alle 600 schon verkauft sind.«
Frank Martins weiß, dass die Karottenernte sonst deutlich anders aussieht: »Ich habe Freunde, die Karotten im West Valley anbauen. Ich hab’ sie mal besucht, sie bauen die kleinen Babymöhren an, die man im Supermarkt kaufen kann. Die Händler nehmen ihnen nur eine bestimmte Größe ab. Wenn man der Erntemaschine zuschaut, dann sieht man, wie sie tonnenweise Möhren auf dem Feld zurücklässt.«
»Als ich das erste Mal zuschaute«, erinnert sich der Farmer, »dachte ich, die Maschine sei kaputt, so viele Möhren warf sie hinten wieder raus. Mein Freund sagte mir, dass sie 20 bis 30 Prozent direkt auf dem Feld lassen. Aber dann sortieren sie noch weiter, erst auf dem Hof, dann in der Fabrik, bis nur noch die kleinen Babymöhren übrig bleiben, die sie in den Supermärkten wollen.«
Die Food Coop umgeht das Problem, indem sie ihren Mitgliedern feste Kontingente gibt: ein Bund Möhren, fünf Tomaten, eine Tüte Basilikum, eine Melone, was der Bauer eben gerade erntet. Dass das Angebot ein wenig Flexibilität in der Küche erfordert, wurde schnell akzeptiert. Doch bei vielen neuen Mitgliedern tauchte ein unerwartetes Problem auf: Sie hatten nie gelernt, wie man frisches Gemüse zubereitet, weil schon ihre Eltern nicht mehr selbst kochen konnten.
Das wollte ich genauer wissen, also besuchte ich an einem der beiden Wochentage den historischen Patio, in dem die Food Coop ihr Gemüse verteilt (auf Bestellung gibt es auch Milchprodukte und Fleisch). Die Initiative hat einen Musiker angeheuert, und jeder darf vom selbst gemachten Grapefruiteis probieren.
Eine junge Mutter hat ihr wenige Wochen altes Baby im Tuch um den Bauch gebunden. Auf den ersten Blick könnte sie als Hippie durchgehen. Doch dann erzählt sie: »Zuerst war es schwer, als wir hier Mitglied wurden, weil es eine Menge an grünem Gemüse gab – und ich hatte zuvor noch nie grünes Gemüse gegessen. Aber ich
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