Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
»Im gleichen Zug wurden die Preise auf die geringeren Mengen umgerechnet und entsprechend gesenkt.« Das bedeutet, dass bei gleicher Essensanzahl pro Tag zwei Spanferkel weniger geschlachtet werden müssen.
Die Reduzierung der Essensabfälle nutzt nicht nur der Umwelt, sondern bedeutet auch weniger Entsorgungskosten für das Unternehmen: Die Speisereste gingen um über 30 Prozent zurück. 2010 wurde das Brauhaus dafür mit dem 1. Ökoprofit-Preis der Stadt München ausgezeichnet.
Solange das Beispiel nicht überall in Deutschland Schule macht, verfahre ich persönlich nach der Devise: Teilen kann man mit jedem. Wenn man weiß, dass die Portionen ordentlich sind, kann man zu zweit ein Gericht mit zwei Tellern bestellen oder sich die Reste einpacken lassen. In amerikanischen Restaurants ist das »doggy bag« selbstverständlich, auch wenn es meist gar nicht für den Hund bestimmt ist. Warum sollten wir uns dafür schämen, die Reste vom Wirt einpacken zu lassen? Schließlich haben wir sie bezahlt.
Die einen finden es ganz normal, die anderen igitt. Warum reagieren die Menschen so unterschiedlich darauf? Die einen sehen einen Joghurt mit einem abgelaufenen Datum und werfen ihn sofort in die Tonne. Die anderen machen erst einmal den Deckel auf, schauen rein, riechen oder probieren. Vor dem Kühlschrank zanken sich viele Ehepaare: Was ist Abfall, was ist noch gut – die unterschiedliche Haltung trennt Menschen, die sich sonst gut verstehen.
Die innere Einstellung zum Essen wird durch die Erziehung weitergegeben. Sie sitzt so tief in uns, dass sie sich im Erwachsenenalter kaum mehr ändern lässt. Die Berliner Tafel, bisher eher bekannt dafür, Bedürftige zu versorgen, hat deshalb Kinderkochkurse ins Leben gerufen. Nicht nur für die Kinder von Hartz- IV – Empfängern, sondern für alle, »weil das Wissen fehlt, in allen Schichten«, so die Tafel-Gründerin Sabine Werth.
Die Kurse leitet Timo Schmitt. Heute ist er in einer Grundschule in Berlin-Kreuzberg. »Das Ziel unserer Kochkurse ist es, den Kindern ein Bewusstsein für gesunde Lebensmittel zu geben. Wir nutzen die Lebensmittel, die eigentlich für die Vernichtung bestimmt waren, vom Handel oder den Herstellern, weil damit nichts mehr verdient werden kann.«
Die Schüler einer dritten Klasse wuseln durcheinander, jeder hat eine Aufgabe, Gemüse muss gewaschen werden, Wasser zum Kochen gebracht oder Quark angerührt. »Kochen macht Spaß, wollt’ ich nur mal sagen«, meint die achtjährige Selina, »und ich hab’ schon ganz großen Hunger. Wir bereiten jetzt gerade den Quark vor. Wir machen Pellkartoffeln, und ich schneide gerade das Gemüse zu kleinen Sticks.«
»Kinder kriegen eher den Zugang, wenn sie es selber machen«, weiß Timo Schmitt. »Das Kochen kennen sie oft nur als Sache der Erwachsenen. So entwickeln sie natürlich kein Interesse dafür. Sie möchten selbst ausprobieren. Hier sehen sie, dass es gar nicht so schwer ist.« Die Kinder haben einen kleinen Aufkleber mit ihrem Namen auf der Brust. Ein Junge namens Can probiert den Quark und verschmiert sich dabei die Nase. Alle lachen.
Selbst kochen – für viele Kinder ein außergewöhnliches Erlebnis. Das Nudelwasser kocht, Timo Schmitt dreht das Gas kleiner und bittet Can, die Nudeln ins Wasser zu schütten. »In vielen Familien wird nur noch Fertigessen aufgewärmt. Zu Hause kriegen es die Kinder also oft nicht mehr mit, wie man mit frischen Zutaten kocht. Hier in Berlin haben wir schon die zweite Generation, die es nicht gelernt hat. Schon die Eltern dieser Kinder wissen es nicht mehr.« Timo Schmitt unterbricht kurz, bittet Can, die Nudeln umzurühren. »Wenn ich zurückdenke, meine Eltern haben mir so viel beigebracht in der Küche. Aber diese Kinder haben im Elternhaus gar keine Möglichkeit mehr, das Wissen zu bekommen.«
Ein Junge schneidet Zucchini. Er heißt Ali, acht Jahre. Ich mache mal die Probe aufs Exempel: Wie heißt das noch mal? »Habe ich vergessen.« Sind das Zucchini? »Ja, Zucchini.« Hast du das schon mal gegessen? »Nein, noch nie.« Ich frage weiter: Was isst du denn zu Hause? »Ich esse Nudelauflauf. Oder Kartoffeln.« Lange Pause, Ali denkt nach. »Und Pommes.«
Eines steht fest: Ali hat großen Spaß bei der Kochaktion. Und großen Hunger: Gleich zweimal fordert er Nachschub, obwohl sein Teller gut gefüllt ist. Am Ende bleibt dennoch etwas übrig, bei einer Schulklasse von 25 Kindern kaum zu vermeiden. »Wir achten darauf, dass wir wirklich alles komplett
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