Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
vergeudet.
Die Carrotmobber schwärmten aus und befragten Bäckermeister in der ganzen Stadt. Am überzeugendsten wirkte Karl-Heinz Schweitzer, Inhaber von zwei Filialen in Köln-Ehrenfeld, und am ehrlichsten: »Wir werfen eine Menge weg, aber ich versuche dem entgegenzusteuern, indem ich eher ein bisschen knapp plane und lieber am Nachmittag noch mal nachbacke.« Geschickt legt er den Brötchenteig auf einem langen Brett aus: »Es ist in den letzten Jahren immer schlimmer geworden, weil wir ein immer größeres Angebot im Regal haben.«
»Vorsicht«, ruft er, hebt das Brett plötzlich an und schiebt es in den Ofen. Für die Carrotmobber gab es den Ausschlag, dass er versprach, den Umsatz des Tages in neue Backöfen zu stecken: »Backöfen sind große Energiefresser,« erklärt Fabian Huber von der Kölner Carrotmob-Gruppe, »und Bäcker Schweitzer hat von allen befragten Bäckern die größten Investitionen zugesagt, die letztendlich dem Klima zugutekommen.«
Dreimal befragten die Carrotmobber den Bäcker, bis die Entscheidung fiel: »Uns ist die Bäckerei dadurch aufgefallen, dass sie schon zum Abend hin ihr Produktsortiment ausdifferenziert und eben nicht mehr alles anbietet. Und dass auch die Verkäufer, wenn einmal ein Produkt nicht mehr da sein sollte, den Kunden ähnliche Produkte aktiv anbieten.« Fabian Huber ergänzt: »Wir haben auch die Filialen größerer Ketten befragt, die wissen selbst nicht, was mit den Resten passiert. Die Reste dürfen nicht zum reduzierten Preis verkauft werden. Sie müssen es in die Zentrale zurückgeben, und was die damit machen, weiß keiner.«
Bäcker Schweitzer kennt die Zwänge: »Man kann die Abfälle knapp halten, aber dann kann man auch kaum mehr den Umsatz steigern, denn neue Kunden kann man nur mit neuen Produkten gewinnen. Das ist die Kehrseite der Medaille.« Der rundliche Mann mit dem freundlichen Gesicht freut sich über die jungen Leute, die seinen Laden füllen und sich auch vor der Tür mit Plakaten und einem Infostand ausbreiten: »Das ist gut für das Klima, aber auch gut für den Geschäftsinhaber.«
Die Aktion entwickelt sich zur Party. Viele bleiben, setzen sich auf die Bank vor der Tür und lauschen der Liedermacherin Katy Sedna, die mit Gitarre und Glockenstimme gegen den an- und abschwellenden Verkehrslärm antritt. Die Schlange an der Kasse wird immer länger, der Karottenkuchen entwickelt sich zum Hit des Tages.
Die meisten Kunden wurden über das Internet hierhergelockt, junge Leute aus der Facebook-Generation, die sich nicht an Organisationen binden, aber dennoch politisch aktiv sein wollen. Aber es kommen auch Stammkunden, die sich über die Ziele des Carrotmob freuen: »Früher haben wir oft das Brot vom Vortag gegessen, aber heute macht das doch kaum einer mehr«, meint eine ältere Frau mit schlohweißen Haaren. »Also mein Vater sagte immer: Wer Lebensmittel wegwirft, begeht eine Sünde. So habe ich auch meine Kinder erzogen.«
Um den Müllberg geringer zu halten, braucht es tatsächlich oft keine aufwendigen technischen Lösungen. Meist reicht es, wenn man sich auf früher Selbstverständliches zurückbesinnt. Zum Beispiel wurden in vielen Restaurants noch bis vor Kurzem die Beilagen in einer Schüssel serviert. Wer Nachschlag wollte, konnte nachholen. Das ist längst vorbei, auch auf dem Land wird heute vom Wirt vorportioniert. Und das meist in einer Menge, die nur Menschen mit großen Mägen essen können. Wie groß unsere Mägen sind, wurde mir vor ein paar Jahren deutlich, als mich mein Freund Mourad aus Tunis besuchte.
Tunesien ist kein Land, in dem Hunger herrscht. Aber als ich mit Mourad ein Kölsches Brauhaus besuchte, wurde dieser ganz fassungslos, als er die Essensberge auf den Tellern sah. »So viel! Wie könnt ihr das alles aufessen?« Ich erinnerte mich an meinen New-York-Besuch einige Monate zuvor, da ging es mir ähnlich, nur dass da ich derjenige war, der sich über die gigantischen Portionen wunderte.
Aber ich habe die Hoffnung, dass sich der Trend mit den immer üppigeren Mengen umdreht. Ein gutes Beispiel ist das Weisse Bräuhaus in München. Wer an die traditionelle bayerische Gastronomie denkt, erwartet eher deftige Portionen, auf Landarbeiter und Handwerker abgestimmte Mengen. Auch das traditionsreiche Brauhaus, aus dem die berühmte »Schneider Weisse« stammt, folgte lange Jahre diesem Konzept. »Dann haben wir die Portionsgrößen den modernen Essgewohnheiten angepasst«, so Geschäftsführer Otmar Mutzenbach.
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