Die Essenz der Lehre Buddhas
Körperlichkeit anfangs- und endlos sein.
Für mein Empfinden liegt Schönheit in diesem Gedanken, dass das Kontinuum unserer selbst keinen Anfang und kein Ende hat. Würde dieses Ich enden, könnte das nur vollkommene Vernichtung und Dunkelheit bedeuten. Wenn jemand unbedingt den Qualen dieses Lebens entkommen möchte und sich selbst tötet, kann man sich vorstellen, dass er ein solches Ende herbeisehnt. Aber den meisten von uns, glaube ich, liegt der Gedanke der Kontinuität in der Fülle unserer Erfahrungen und Gefühle mehr.
Kapitel 7
Das Hinayana-Weltbild
D ie Vaibhashika oder »Schule der ausführlichen Erläuterung« ist die erste der bereits genannten vier Hauptschulen der buddhistischen Philosophie. Sie hat achtzehn Unterschulen, von denen manche ein Ich zu postulieren scheinen. Die Anhänger der Vaibhashika betonen jedoch, dass es sich nicht um ein ewiges, einheitliches und autonomes Ich handelt. Aufgrund dieser Unterscheidung werden sie zu den Buddhisten gezählt.
Die Vaibhashikas glauben, dass der Buddha Shakyamuni drei unermessliche Zeitalter lang als Bodhisattwa lebte und zum Wohl aller Lebewesen nach voller Erleuchtung strebte. Auch sein letztes Leben begann er als Bodhisattwa, bis er beim Meditieren unter dem Bodhi-Baum bei Bodh Gaya Erleuchtung fand. Mit seinem Tod erlosch sein Daseins-Kontinuum wie eine Flamme, die keine weitere Nahrung erhält.
Mahayana-Gelehrte stimmen mit den Vaibhashikas darin überein, dass es Gegengifte für unsere geistigen Verunreinigungen wie Anhaftung und Widerwille gibt, mit deren Hilfe wir diese Verunreinigungen überwinden können. Sie sind allerdings nicht der Meinung, für das Bewusstseins-Kontinuum selbst gebe es ebenfalls ein Gegenmittel. Deshalb bestreiten sie, dass das Bewusstsein
des Buddha mit seinem Tod erlosch. Nach ihrer Auffassung wäre auch nicht einzusehen, weshalb sich ein Bodhisattwa über Äonen schulen sollte, wenn seine große Verwirklichung dann nur für ein paar Jahre Bestand hätte.
Die Unterscheidung von konventioneller Wahrheit und höchster Wahrheit sieht bei den Vaibhashikas anders aus als in den übrigen Schulen. Von konventioneller Wahrheit sprechen sie im Hinblick auf Phänomene, die ihre Identität verlieren, wenn sie geistig zergliedert oder physisch in ihre Bestandteile zerlegt werden. Höchste Wahrheit ist entsprechend Phänomenen vorbehalten, die auch dann erkennbar bleiben, wenn man sie geistig oder physisch zerlegt. Ein Glasgefäß kann als Beispiel für konventionelle Wahrheit dienen: Wenn es hinfällt und zerbricht, ist es nicht mehr als Glasgefäß zu erkennen. Nur etwas nicht Zusammengesetztes und demnach definitionsgemäß nicht in Teile Zerlegbares kann als Beispiel für höchste Wahrheit dienen. Durch diese Entgegensetzung zweier grundverschiedener Wahrheiten nehmen die Vaibhashikas einen ganz anderen Standpunkt ein als die Madhyamikas, nach deren Ansicht alle Phänomene als konventionelle Wahrheiten existieren, ihrer wahren Natur nach jedoch letztlich leer sind, das heißt kein in ihnen selbst liegendes Sein haben. Während sich die beiden Wahrheiten der Vaibhashikas auf ganz unterschiedliche Gegenstände beziehen, betrachten die Madhyamika-Philosophen sie als die beiden Aspekte aller Gegebenheiten.
Der Name der Sautrantikas, der zweiten Hinayana-Schule, deutet an, dass sich diese Schule in erster Linie auf die Sutras bezieht, auf die eigentlichen Lehren des Buddha. Auch hier werden die Phänomene, wenn auch wieder auf andere Art, in konventionelle und höchste Wahrheiten unterteilt. Das Kriterium ist, ob das, was betrachtet wird, Wirkungen auszuüben vermag oder nicht. Alles, was künftige Daseinsaugenblicke herbeiführen kann, ist Wahrheit im höchsten Sinne. Der Tisch, den ich vor mir habe, und meine visuelle Wahrnehmung dieses Tischs sind letztgültige Wahrheit, da jeder Augenblick der Existenz und meiner Wahrnehmung dieses Tischs den nächsten Augenblick seiner Existenz herbeiführt. Alles, was demgegenüber nur in unserem Geist vorhanden ist, etwa Gedankenobjekte wie das innere Bild eines Tischs beim Denken an den Tisch, kann nichts bewirken und setzt sich auch nicht Augenblick für Augenblick fort. Demgemäß handelt es sich um konventionelle Wahrheit.
Die Vaibhashikas sind gegenüber allen anderen Schulen nicht der Meinung, dass die Ursache zwangsläufig der Wirkung vorausgeht; nach ihrer Auffassung können Ursache und Wirkung in bestimmten Fällen gleichzeitig sein. Ein Beispiel wäre die bewusste visuelle
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