Die Essenz der Lehre Buddhas
Wahrnehmung einer Blume und die gleichzeitige Freude, die man an diesem Anblick hat. Die Sautrantikas sowie die Mahayana-Schulen bestreiten, dass der Geist, der die Blume wahrnimmt, Ursache der gleichzeitig auftretenden Freude
ist. Für sie ist die Freude durch den ersten Eindruck von dieser Blume bedingt.
Für die Vaibhashikas gibt es bei der Sinneswahrnehmung keine vermittelnden Instanzen, sondern das jeweilige Objekt wird einfach widergespiegelt. Die Sautrantikas sind dagegen mit den Mahayana-Schulen der Meinung, bei der sinnlichen Wahrnehmung spiele eine zwischengeschaltete Repräsentation eine Rolle. Das scheint der wissenschaftlichen Sicht der Dinge zu entsprechen.
Soweit dieser kurze Eindruck von den beiden Hinayana-Schulen der buddhistischen Philosophie. Ich hoffe, Sie werden sich weiter damit beschäftigen, denn ein Verständnis der beiden unteren Sprossen der Leiter nützt uns sehr, wenn es um die subtileren philosophischen Anschauungen der Mahayana-Schulen geht.
Kapitel 8
Die Nur-Geist-Schule
C ittamatra oder »Nur-Geist« ist die erste der Schulen des Großen Fahrzeugs oder Mahayana. Der Name enthält ein Aussage, nämlich dass Phänomene von der gleichen Natur sind wie der Geist, der sie wahrnimmt. Wenn wir einen Tisch sehen, würde das bedeuten, dass der Tisch wesensgleich mit unserem Geist ist, der ihn wahrnimmt.
Wie sieht das praktisch aus? Die Tische und Stühle, die Gerüche und Geräusche, die ich wahrnehme, treten nach der Nur-Geist-Lehre aufgrund meines früheren Handelns, meines Karmas, für mich in Erscheinung, weil es in mir die Neigung oder Möglichkeit schafft, diese Dinge wahrzunehmen. Mein gutes Karma führt angenehme Erfahrungen herbei, süße Düfte und wohltuende Laute, während mein ungutes Karma für alles Unangenehme sorgt. Wenn Sie und ich in den Genuss von Blumenduft kommen, ergibt sich diese gemeinsame Erfahrung daraus, dass es aufgrund unseres individuellen früheren Karmas in uns angelegt ist, erfreuliche Dinge zu hören oder zu riechen. Aber die Blume selbst ist eigentlich zwei Blumen, nämlich für Sie die Manifestation Ihres Karmas und für mich die Manifestation meines Karmas.
Nach der Nur-Geist-Philosophie muss die Ursache ihrer Wirkung vorausgehen, weshalb die Blume nicht die
Ursache der Wahrnehmung durch das Sehbewusstsein ist, wie man in anderen buddhistischen Schulen sagen würde. Vielmehr ist sie vom gleichen Wesen wie das gewahrende Bewusstsein und existiert folglich gleichzeitig mit diesem Bewusstsein.
Diese Nur-Geist-Sicht der Existenz einer Blume spricht der Blume nicht ihr Vorhandensein ab. Sie sagt, dass die Blume zwar nicht unabhängig von meiner Wahrnehmung existiert, aber sie muss doch wirklich vorhanden sein, um überhaupt zu existieren.
Nach dieser Lehre existieren die Dinge also nicht unabhängig von unserer geistigen Erfahrung von ihnen. Wenn sich die Dinge aufgrund unseres Karmas manifestieren, haben sie nichts in sich selbst, wodurch sie unabhängig von unserer Erfahrung existieren könnten. In unserer Unwissenheit glauben wir jedoch, die Dinge existierten unabhängig von unserer Wahrnehmung, als hätten sie ihr eigenes unabhängiges Dasein. Diese Getrenntheit von Subjekt und Objekt ist nach Auffassung der Cittamatra-Philosophen ein Irrtum, den es durch yogische Praxis auszuräumen gilt.
Der Lehre des Buddha zufolge sind Phänomene von dreierlei Natur: auf der Kraft von etwas anderem beruhend, zugeschrieben und gesichert. Von etwas anderem abhängig sind nach der Auffassung der Nur-Geist-Philosophen vergängliche Dinge wie Tische und Stühle. Wenn man annimmt, sie existierten unabhängig von dem sie wahrnehmenden Bewusstsein, ist das ihre zugeschriebene
Natur, während ihre gesicherte Natur darin besteht, dass es solch ein in ihnen selbst liegendes Sein nicht gibt. Die Realität, die wir den Tischen und Stühlen zuschreiben, existiert nach dieser Philosophie in Wirklichkeit nicht. Diese Nichtexistenz zu erkennen ist das Ziel der Nur-Geist-Yogis bei ihrer Praxis.
Das Besondere an der gesicherten Natur der Dinge ist darin zu sehen, dass ihre Namen und Bezeichnungen ihnen nicht von Natur aus zugeordnet sind. Uns erscheinen Tische und Stühle als die natürlichen Träger dieser Bezeichnungen. Sie scheinen diese Tischhaftigkeit und Stuhlhaftigkeit von sich aus zu haben, ob wir sie so nennen oder nicht. Wenn das so wäre, sagen die Nur-Geist-Philosophen, würde der Tisch schon »Tisch« heißen, bevor er so benannt wird, und dann könnte nichts
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