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Die Essenz der Lehre Buddhas

Die Essenz der Lehre Buddhas

Titel: Die Essenz der Lehre Buddhas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dalai Lama
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anderes »Tisch« genannt werden.
    Wenn wir eine Flasche betrachten, bekommen wir das Gefühl, dass sie alles besitzt, was ein Phänomen braucht, um Flasche genannt zu werden. Wir haben nicht das Gefühl, dass »Flasche« einfach eine Bezeichnung ist, mit der wir ein Objekt praktischerweise benennen. Unserem Gefühl nach besteht eine natürliche Beziehung zwischen einer Flasche und ihrem Namen, so als wäre die Flasche der natürliche Bezugsgegenstand für das Wort »Flasche«. Wenn das so wäre, sagen die Nur-Geist-Philosophen, wie könnte es dann für ein ganz bestimmtes Objekt mehr als einen natürlichen Namen geben? Und wie könnten viele Objekte denselben Namen tragen?

    Diese Erkenntnis, dass die Phänomene nicht die natürlichen Bezugsobjekte der Namen sind, so heißt es, kommt der Erkenntnis der Nichtgetrenntheit der Dinge von dem sie wahrnehmenden Geist gleich.
    Halten wir noch fest, dass es existierende zugeschriebene Natur gibt, etwa bei dauerhaften Phänomenen wie dem Raum, daneben aber auch nicht existente zugeschriebene Natur wie etwa das Kind einer unfruchtbaren Frau. Damit befassen sich jedoch die Yogis nicht weiter, denn sie möchten ganz frei werden von dieser natürlichen Neigung, sich selbst und alle anderen Phänomene als unabhängig von ihrer Wahrnehmung zu erfahren.

Kapitel 9
Madhyamika – der Mittlere Weg

    D er Mittlere Weg, der im Namen dieser Schule anklingt, meidet die beiden Extreme des Nihilismus und des Absolutismus im philosophischen Sinne. Nihilismus verneint die Existenz von einfach allem, auch dessen, was landläufig als existierend angesehen wird. Absolutismus ist der Glaube an wahre, substanzielle oder unabhängige Existenz. Mit der Verneinung dieser beiden Extreme wird eine mittlere Position eingenommen, nach der alles Existierende aufgrund von Bedingungen, das heißt abhängig entstanden ist.
    Die Dinge werden als von Ursachen abhängig gesehen – wie ein Tontopf auf dem Ton beruht, aus dem er geformt wird. So sind alle Dinge durch ihre Bestandteile bedingt, eine Orange beispielsweise durch ihre Spalten und ihre Schale oder die große Weite des Raums durch die räumliche Ausdehnung in allen Richtungen.
    Nagarjuna und die Madhyamikas nach ihm verneinten, dass Dinge oder Ereignisse von substanzieller Wirklichkeit sind oder wahrhaft existieren. Für sie existieren die Dinge nicht unabhängig von unserer Wahrnehmung. Ein Stuhl, sagen sie, existiert in keiner Weise als Stuhl, außer eben in seiner Benennung als Stuhl.
    Manche haben Nagarjunas Lehre so ausgelegt, dass die Phänomene zwar letztlich leer, das heißt ohne in ihnen
selbst liegendes Sein sind, aber im konventionellen Sinne doch in sich selbst existieren müssen. Denker dieser Richtung werden als Autonomisten (Svatantrikas) des Mittleren Weges bezeichnet – nach einem geistigen Zeichen, das aus ihrer Sicht charakteristisch für einen Yogi mit einer ersten Erkenntnis der Leerheit ist. Damit ein Stuhl als Stuhl gesehen und bezeichnet werden kann, sagen sie, muss er in sich selbst existieren, er muss eine in ihm selbst liegende Stuhlheit besitzen. Die Autonomisten sagen also, unsere Sinneswahrnehmungen seien im Hinblick auf die erfahrenen Objekte alles in allem nicht falsch, da das Erscheinen von Stuhlheit – die eigenständig bestehende Qualität des Stuhls – nicht falsch sei.
    Eine andere Art von Madhyamika-Denkern werden Schlussfolgerer (Prasangikas) genannt, weil sie sagen, eine einzige logische Schlussfolgerung sei für einen Yogi ausreichend, um die Leerheit zu erkennen. Sie verneinen jegliche in den Dingen selbst liegende Realität, auch im konventionellen Sinne. Gegen allen Anschein besitzt ein Stuhl nach ihrer Meinung kein Eigensein, keine Stuhlheit. Deshalb gibt es für diese Denker nicht einen einzigen Fall, in dem unsere gewohnte Wahrnehmung nicht falsch oder entstellt wäre – einfach weil überall der Anschein von innewohnendem Sein entsteht. Nur im meditativ gesammelten Geist eines die Leerheit unmittelbar realisierenden Yogi gibt es keine Verzerrungen, da dem Yogi in diesem Zustand nichts anderes erscheint als
eben die Leerheit – das Fehlen von den Dingen selbst innewohnendem Sein.
    Die Anhänger Nagarjunas sind sich darin einig, dass ein Stuhl, den wir ganz unbedarft sehen, wirklich zu existieren scheint – wir nehmen ein Stuhlsein war. Wir können dieses Objekt da vor uns eindeutig als Stuhl identifizieren. Strittig ist unter Nagarjunas Anhängern jedoch die Frage, ob dieses Stuhlsein wirklich

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