Die Eule - Niederrhein-Krimi
Hilfe von Rotkäppchen-Sekt und einer deftigen Füllung Wodka und Nordhäuser Korn eine gewisse Nähe entstanden war, war der Auserkorene, der den Todeskandidaten ruhigstellen sollte. Nicht etwa, um ihm Beistand zu leisten, sondern um der Staatssicherheit den Weg freizuräumen, ihren Auftrag bis zum bitteren Ende des Delinquenten unter dem Fallbeil zu vollstrecken.
Der Uniformierte öffnete ein kleines Köfferchen und zeigte auf ein Tablettenröhrchen und eine Spritze.
»Ich weiß, das ist die Hölle für dich. Ich habe hier ein paar Mittel, die dir Ruhe geben werden. Dann schläfst du ein. Du kennst mich, ich will dir helfen«, sagte er im bemüht freundlichen Tonfall, der verriet, dass der Mann sonst gewohnt war, schnarrende Befehle auszusprechen und neue zu erhalten. Er kam dabei so nah an den Tobenden heran, dass er gehört, aber nicht von Schlägen getroffen werden konnte.
»Was willst du? Ich will nicht ruhig werden, ich muss sterben, und ich weiß nicht, warum. Das Urteil ist lächerlich. Ich bin ein Opfer dieses verdammten Staats, dem ich so lange gedient habe.«
»Schluss jetzt, stopp! Du weißt, du bist abgehauen. Abgehauen in einer Zeit, in der mehrere Leute der Staatssicherheit rübergemacht haben. Das können wir nicht dulden. Die Grenze ist zu offen, das werden wir ändern. Ich darf das eigentlich hier nicht sagen, das weißt du. Ich bringe mich in Gefahr damit. Aber der wahre Grund für deinen Tod ist, dass du das System verraten hast.«
»Ich habe niemandem Leid zugefügt, ich bin einfach gegangen. Bis mich irgendjemand über die Grenze zurückgekarrt hat. Ich weiß nicht, wie und warum. Ich war total besoffen. Ihr seid wie eine Krake. Wer einmal in euren Fängen war, den lasst ihr nicht in Frieden. Jetzt bin ich der ehemalige Stasimajor, der aufs Schafott geht, und jeder von Horch und Greif soll es wissen. Das ist perfide, eiskalt ist das.«
»Du hast es begriffen, du bist das Exempel, das zu statuieren war. Es hätte auch jemand anders sein können. Dein Tod soll abschrecken. Nicht dass ich das gutheiße. Ich wollte, ich könnte etwas für dich tun. Aber wer zulässt, dass die eigenen Leute keinen Respekt mehr vor dem Geheimdienst haben, kann den Laden zumachen.«
Der Major pumpte seinen Brustkorb auf, als wolle er eine dienstliche Standpauke loslassen und gewissermaßen den militärischen Befehl zum ehrenvollen Gang in den Tod geben. So wie er es gewohnt war und wie er gelernt hatte zu reden. Doch er blickte auf einen verzweifelten Mann mit wirren Haaren und stierem Blick, der so nicht zu erreichen war. Eine Verständnis signalisierende Formulierung, einen Tonfall der Annäherung – das konnte er sich nicht leisten, während das Wachpersonal vor der Zellentür stand und er gleich Rapport erstatten musste.
»Gut, setz dich bitte hin, ich gebe dir eine Spritze. Du merkst, ich möchte dir nichts Böses, ich will dir helfen in deinen letzten Stunden.«
»Ich will keine Spritze und keine Pillen. Ich will wissen, was hier gespielt wurde! Sag mir, warum ich sterben muss!«
Der Major hielt inne und klappte den Medizinkoffer zu. Er hatte sich dazu entschlossen, ein bisschen Zivilcourage zu zeigen und etwas zu berichten, was eigentlich strikt untersagt war. Warum er so handeln wollte, das wusste er selbst nicht genau.
»Du weißt, Gewissheit zu geben ist in der Dienstvorschrift nicht vorgesehen. Aber ich kenne dich, und ich mag dich. Ich erzähle dir jetzt die Geschichte. Aber es darf nicht zu lange dauern. Schaffst du es, eine Viertelstunde lang nicht auszurasten? Du musst es mir versprechen, sonst bin auch ich dran.«
Der verurteilte Mann ließ die Arme sinken, sein Gesicht entspannte sich leicht. Mühsam brachte er hervor: »Ich verspreche es dir. Wenn ich gehört und verstanden habe, fällt es mir hoffentlich leichter, mit dem Leben abzuschließen.«
Der Major ging zur Zellentür, rief durch den offenen Türspalt den links und rechts danebenstehenden Wachleuten zu: »Ich habe ihn überredet, auf die sanfte Tour. Muss auch mal sein. Jetzt setze ich ihm die Spritze und warte noch zehn oder fünfzehn Minuten, bis die Wirkung eintritt. Bitte nicht reinkommen währenddessen. Ihr wollt doch auch keinen Ärger mit dem hier haben.«
Er wartete die gemurmelte Bestätigung des Befehls ab und begann, die Geschichte einer Entführung von West nach Ost bis in diese Todeszelle zu erzählen.
Die ganze Geschichte.
* * *
8. Mai 2010
Gero von Aha ließ auf sich warten.
Erst hat er einen fulminanten
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