Die Eule von Askir
schweren Beutel vor sich.
»Ja, du. Das ist, wie er mir sagte, der andere Grund, warum er mich ausgewählt hatte. Er hielt mich für einen Agenten der Reichsstadt, den Maestros vom Turm zugeteilt. Er kannte die Geschichte unserer Freundschaft, hielt sie aber für eine Mär, die uns erlauben sollte, uns unauffällig hier zu treffen. Das war auch der Grund, weshalb er mir vertraute. Deshalb stellte er sicher, dass ich zumindest einen Teil seiner Geschichte kannte, damit ich sie an dich weitergeben kann«, erklärte Wiesel und spielte mit seinem leeren Becher, während Desina ihn fassungslos ansah.
Istvan griff nach dem Krug, doch Wiesel bedeckte den Becher mit seiner Hand und schüttelte den Kopf. »Nein, Istvan, es ist genug. Ich glaube, ich brauche demnächst einen klaren Kopf.« Er sah die anderen mit ungewohnt ernstem Blick an. »So ungeschickt war der Plan des Dieners nicht. Nur einen kleinen Haken hat das Ganze jetzt. Niemand konnte ja ahnen, dass es ein Seelenreiter sein würde, mit dem er sich dort traf. Doch wenn der Verfluchte Jenks’ Seele geritten hat, weiß er jetzt alles. Dass es wohl ein gewisser Wiesel war, der den Beutel in der Gasse aufhob und verschwinden ließ, und dass du der Empfänger dieses Beutels bist.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Wisst ihr was? Das verdirbt mir gewaltig die Laune. Und genau das nehme ich diesem Mistkerl übel.«
»Ich glaube, dem schließe ich mich an«, sagte Desina und öffnete vorsichtig das Band des Beutels. Sie zog das Leder auf und legte den Inhalt frei: eine etwa faustgroße Skulptur aus schwarzem Stein. Sie zeigte auf einem groben Podest den Kopf eines Wolfs. Es war eine rohe, fast schon primitive Arbeit, aber der Stein war pechschwarz und etwas an ihm sorgte dafür, dass sich die feinen Härchen in Desinas Nacken aufrichteten. Sie streckte die Hand aus und berührte die Skulptur vorsichtig, doch nichts geschah. Eine Erinnerung regte sich, irgendwann, irgendwo hatte sie schon etwas über einen solchen Wolfskopf gelesen. Vielleicht dämpften ja die Handschuhe die Magie? Sie zog ihren Handschuh aus und berührte den Stein erneut mit ihren bloßen Fingern, aber nichts geschah. Es war nur ein Stück Stein.
»Hast du nicht von zwei Skulpturen gesprochen?«, fragte sie Wiesel.
»Ja«, sagte der und musterte den offenen Beutel überrascht. »Ich habe bis eben gedacht, es wären beide darin. Ich habe den Beutel nicht geöffnet. Ich bin nicht blöd genug, um Artefakte zu berühren, die angeblich unsere Stadt zu bezwingen imstande wären.« Er sah Desina fragend an. »Nun, ist das Ding magisch?«
Sie musterte den Wolfskopf noch einmal und schüttelte dann den Kopf. »Wohl kaum. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein magisches Artefakt sein soll. Auf irgendeine Art müsste dann ja wenigstens eine Spur von Magie zu erkennen sein. Das ist nicht der Fall. Der Wolfskopf ist in etwa so magisch wie dein Weinglas, Wiesel.«
»Dann bleibt nur eine Frage«, sagte Wiesel nachdenklich, »wie, bei allen Göttern, dieser Stein eine Bedrohung für die Reichsstadt darstellen soll.«
»Das kann ich dir auch nicht sagen. Aber nur weil ich etwas nicht weiß, bedeutet es nicht, dass es nicht sein kann. Etwas muss an dem Wolfskopf dran sein, sonst wäre der Diener nicht auf diese grausame Art gestorben.«
»Je mehr ich höre, desto banger wird es mir«, sagte Wiesel leise und sah Desina prüfend an. »Ist alles in Ordnung?«
»Nein«, sagte sie und verstaute den Wolfskopf in ihrer Robe. »Solange ein Nekromant in der Stadt ist, ist nichts in Ordnung.«
7
Nicht weit entfernt, auf dem Dach der Kornbörse, wogten Dunkelheit und Schatten und verdichteten sich zu einer unheilvollen Form. Der Schatten trug die Robe einer Eule, nicht viel anders als die der Maestra, jedoch dunkel und schwer, und sie betonte schlanke Hüften und breite Schultern. Feine Runen aus einem dunkel glänzenden Metall schmückten die Säume der Robe.
Er sah zurück zu Istvans Gasthof, sah zu, wie eine schlanke Gestalt ihre Kapuze tiefer ins Gesicht zog und langsam davonging. Die Erscheinung nickte für sich und lächelte.
Der Mund, der unter der Kapuze zu erkennen war, war schmal, das Kinn gerade und hart. Obwohl die Haut glatt erschien, zogen grausam wirkende Falten tiefe Furchen hinein. Trotz alledem war das Lächeln nicht grausam, auf diesem harten Mund wirkte es sogar seltsam freundlich.
»Es hat begonnen«, flüsterte der Mann, der einst den Namen Balthasar getragen hatte.
Er
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