Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eule von Askir

Die Eule von Askir

Titel: Die Eule von Askir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Schwartz
Vom Netzwerk:
lachte, als er den Klang seiner Stimme hörte. Zu lange war er in sich selbst gefangen gewesen, seine Stimme nur ein Gedanke.
    Sein Blick löste sich von der Eule, die dort unten entlangging, wanderte den Hafen entlang und blieb auf einem alten Palast liegen, der auf Pfählen in das Hafenbecken gebaut worden war.
    Das Lächeln, das nun um seine Lippen spielte, war nicht mehr freundlich, sondern bitter und gefährlich.
    »Ihr spielt Eure Bauern aus«, flüsterte er. »Ihr denkt, Ihr beherrscht das Spiel und habt das Brett nun freigeräumt für Eure Züge. Ich frage mich, habt Ihr sie schon gesehen? Schickt doch Eure Bauern, o Herrscher der Welt! Ich setze meine Königin gegen jede Eurer Figuren, ob Bauern, Reiter, Priester oder Festung.« Er ballte seine Faust und verzog den Mund, als er durch sie hindurch die Dachziegel sah. »So wenig ist von mir geblieben, so wenig habt Ihr mir gelassen, aber noch existiere ich! War es ein Versehen, eine Unachtsamkeit? Ein unwichtiger Fehler vielleicht? Nun, wir werden sehen…«
    Nach einem letzten Blick auf die Gestalt in Blau zerfaserte der Schatten im Wind.

 
    8
     
     
     
    Stabsobrist Orikes, der Kommandant der Federn, hörte Desina in aller Ruhe zu, während er sich weiter rasierte. Nur ab und zu hielt er inne, um ihr einen ungläubigen Blick zuzuwerfen.
    Mit der Selbstverständlichkeit, die lange Freundschaft mit sich brachte, hatte sie in einem der bequemen Stühle des Obristen Platz genommen, sich einen Apfel aus einer hölzernen Schale gestohlen und sah nun fasziniert zu, wie die scharfe Klinge über die Wangen ihres Vorgesetzten glitt, ein Ritual, das sie schon als Kind immer wieder fasziniert beobachtet hatte.
    Dann tauchte er seine Hände in die Schüssel mit dampfendem Wasser, wusch sich das Gesicht frei von Schaum und griff nach einem groben Tuch, mit dem er sich abtrocknete.
    Es war kurz vor der zweiten Glocke, und die junge Maestra hatte den Stabsobristen bei seiner Morgentoilette gestört. Es gab nicht viele, die gewagt hätten, einen der hochrangigsten Offiziere der Reichsstadt solcherart zu behelligen. Aber es war nicht mehr lange bis zum Morgenappell und Desina war nicht der Ansicht, dass sie es länger hinausschieben konnte.
    Orikes war nicht nur eine Feder, er war auch einer der besten Feldscher der Reichsstadt, ein Arzt, Gelehrter und Heiler, dem man nachsagte, er besäße ein ganz besonderes Talent dazu, auch die schwierigsten Operationen zu beherrschen. Oft, wenn eine Tempelheilung vorher eine medizinische Behandlung erforderte, riefen ihn manche der Priester sogar in die Häuser ihrer Götter. Nicht umsonst gab es den alten Spruch, dass die Gnade der Götter zwar zu heilen vermochte, aber gebrochene Knochen sich kaum von selbst zu richten pflegten. Es galt jetzt schon als sicher, dass der Obrist nach seinem Militärdienst dem Tempel des Boron beitreten würde.
    Als sie damals zum ersten Mal den Eulenturm betreten hatte, war sie noch ein junges Mädchen gewesen, geradezu überwältigt davon, was man jetzt von ihr erwartete. Istvan und die Herberge Zur Gebrochenen Klinge waren weit weg, und es gab so viel, das sie lernen musste, also hatte der Lordkommandant die Feder Orikes zu ihrem Lehrer ernannt. So war eine Freundschaft zwischen dem älteren Stabsobristen und dem jungen Mädchen entstanden, die sich auf eine gemeinsame Begeisterung für alte Bücher und Texte stützte und auf die Neugier, wie sich wohl das Wesen der Welt zusammenfügte.
    So war es nicht erstaunlich, dass die beiden Wachen vor der Tür zum Quartier des Stabsobristen noch nicht einmal geblinzelt hatten, als die junge Maestra den Gang entlanggestürmt kam und ohne Umschweife an der schweren Tür klopfte. Sie hatte Mühe gehabt, ihre Ungeduld zu verbergen, aber dann, endlich, nach wenigen Atemzügen, hatte ein verwunderter Orikes, dessen Bartstoppeln gründlich eingeseift waren, ihr die Tür geöffnet.
    In kurzen, knappen Worten schilderte sie ihm, wie sie den Kammerdiener tot vorgefunden hatte, was Stabsleutnant Santer ihr berichtete, was sie selbst an dem Toten hatte feststellen können. Danach teilte sie dem Obristen mit, dass sie nun wisse, dass der Tote ein Agent von Prinz Tamin gewesen sei, der versucht habe, die Weiße Flamme zu unterwandern. Und dass es ihm gelungen war, ihr eine der Skulpturen in die Hände zu spielen.
    Dass dieser Teil ihres Berichts bemerkenswert ungenau war, was die Quelle ihrer Information anging, entging dem Stabsobristen nicht. Er kannte Wiesel nur zu gut.

Weitere Kostenlose Bücher