Die Evangelistin
gern erforschen. Aber als Papst und mächtigster Herrscher der Christenheit werde ich nicht zulassen, dass die Kirche von innen heraus durch Glaubenszweifel geschwächt wird. Ich darf es nicht. Die Kirche ist das Fundament Europas, das unter dem Ansturm des Islam zerbrechen wird, wenn der eine christliche Glaube es nicht mehr zusammenhält.
Wir, die Kirche, und ich, der Papst, sind das Imperium Romanum, das Katholische Könige wie Fernando von Aragón, Allerchristlichste Herrscher wie François von Frankreich und Leonardo Loredan, den Dogen von Venedig, der an nichts glaubt als an die eigene Macht und Herrlichkeit, in einem Glauben zusammenschmiedet. Ich bin die Kraft, die Frieden schafft. Ich weiß, dass man mich, Giovanni de’ Medici, machtbesessen nennt, weil ich Kardinäle, Könige und Kaiser zu beherrschen suche und meinen Bruder Giuliano zum Bannerträger der Kirche, meinen Cousin Giulio zum Kardinal und Erzbischof von Florenz und meinen Neffen Lorenzino zum Herzog ernannt habe.
Wir, die Kirche, und ich, der Papst, sind das Bollwerk gegen den von Osten vorrückenden Islam, der Jerusalem, Konstantinopolis und Athen bereits eingenommen hat. Ich gestehe: Ich habe furchtbare Angst, dass das Banner des Propheten Mohammed eines Tages auf den Zinnen des Vatikans wehen und dass die Kathedrale von San Pietro eine Moschee sein könnte.«
Sehr eindringlich fuhr er fort:
»Begehe nicht den Fehler, Rom und das Imperium Romanum vernichten zu wollen, Elija. Du wirst scheitern, wie dein König Jeschua vor dir gescheitert ist.
Jede Schwächung der Kirche als weltlicher Staat und des Papstes als Führer der Christenheit ist ein unverzeihlicher … ein tödlicher Fehler. Deshalb werde ich, Papst Leo, nicht zulassen, dass deine Thesen auf dem Laterankonzil diskutiert werden. Deine Tempelreinigung wird nicht stattfinden, Elija.«
Doch dann lächelte er versöhnlich und drückte freundschaftlich meine Hand.
»Und dennoch würde ich, der Humanist Giovanni de’ Medici, mich freuen, wenn du mir dein neues Evangelium verkündest.«
Ich nickte stumm.
War ich enttäuscht?
»Nein«, sagte ich einige Stunden später, als Celestina, eng an mich geschmiegt in unserem Bett, dieselbe Frage stellte. »Denn ich habe mich nie der Illusion hingegeben, die Kirche reformieren zu können. Ich kämpfe für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden. Und Giannis offenherzige Freundschaft, sein humanistisches Interesse und seine ganz unchristliche Toleranz sind mehr, als ich erwartet hatte.«
In Rom würde ich mein Evangelium schreiben und Das verlorene Paradies erschaffen: den Traum vom Königreich der Himmel, den Jeschua schon vor mir träumte.
· C ELESTINA ·
K APITEL 15
In der mondlosen Finsternis der frühen Morgenstunden glitt meine Hand über das Laken. Das Bett neben mir war noch immer leer. Elija war noch nicht zurückgekehrt.
Seufzend schmiegte ich mich in die Kissen. Die Nacht war schwül und windstill. Wie sehnte ich mich nach einer kühlen Brise von der venezianischen Lagune!
Leise wurde die Tür des Schlafzimmers geschlossen.
Elija?
Atemlos wartete ich, bis er sein Nachtgebet beendet hatte und sich neben mich legte.
Als ich mich über ihn beugte, um ihn zu küssen, umarmte er mich. »Ich dachte, du schläfst schon …«
In der Finsternis strich ich ihm über das lange Haar. »Wie war dein Gespräch mit Angelo?«
Er schwieg.
»Habt Ihr über Arons und Mariettas Hochzeit gesprochen?«
»Mhm.«
»Wie denkt Angelo über Arons Naziratsgelübde? Dein Bruder bekennt sich zum Judentum und hat sich Gott geweiht. Glaubt Angelo, dass die beiden heiraten können?«
»Nein.«
»Elija, glaubst du, dass ihre Liebe noch eine Zukunft hat?«
»Nein.«
Seine Stimme klang so hoffnungslos! Hätte ich doch nur sein Gesicht sehen können!
»Was ist geschehen?«
In der Finsternis hörte ich, wie er tief Luft holte.
»Angelo weiß, wer ich bin.«
»Was?«
»Nach dem Brand in Arons Kontor hat Marietta ihm geschrieben. Sie fürchtete um Arons Leben und bat ihren Bruder um Hilfe. Angelo weiß, dass wir Conversos aus Granada sind. Er hat einen Brief nach Spanien gesandt, um sich über Juan, Diego und Fernando de Santa Fé zu erkundigen. Der Großinquisitor von Kastilien hat ihm selbst geantwortet. Kardinal Cisneros weiß, dass ich in Venedig als Jude lebe …«
»Um Gottes willen!«
»… und Angelo weiß, dass ich als Juan de Santa Fé zwei Jahre im Kerker der Inquisición in Córdoba verbracht habe. Er weiß von den
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