Die Evangelistin
Heiligkeit wird sich sehr freuen, dass Ihr …« Das ›doch noch‹ verschluckte der Kardinal mit einem Lächeln. »… gekommen seid!«
Dann küsste er Celestina auf beide Wangen – die beiden kannten sich aus Urbino, wo sie einige Zeit am Hof des Herzogs Guido da Montefeltro gelebt hatten. Noch im Konklave vor zwei Jahren hatte Papst Leo den berühmten venezianischen Humanisten zu einem seiner Sekretäre ernannt und ihm bald darauf den Kardinalshut aufgesetzt. Die Poeten Roms hatten nach seiner Investitur stolz den Anbruch des Goldenen Zeitalters des Humanismus verkündet.
»Im Augenblick ist die Santa Trinità …« Pietro Bembo grinste verschmitzt. »Bitte verzeiht, Celestina: Im Augenblick befinden sich der Heilige Vater, Herzog Giuliano de’ Medici und Kardinal Giulio de’ Medici in einer Besprechung mit dem französischen Botschafter. Seine Heiligkeit ist wegen der bevorstehenden Invasion sehr besorgt. Nach dem französischen Gesandten wird er eine Delegation des Erzbischofs von Köln empfangen – in Deutschland erhitzen sich wieder einmal die Gemüter: Dominikaner gegen Humanisten!« Pietro Bembo rang in gespielter Verzweiflung die Hände. »Aber ich werde Seine Heiligkeit sofort von Eurer Ankunft benachrichtigen.«
»Ich bitte Euch, Eminenz … Pietro: Sagt ihm nichts. Ich will ihn überraschen!«, bat Celestina.
Die Augen des Kardinals funkelten: Der Papst liebte Überraschungen!
»Ich werde Euch und Euren Begleiter in sein Arbeitszimmer führen«, versprach er, ohne mich nach meinem Namen gefragt zu haben. »Nach der Audienz werde ich ihn dann zu Euch bringen.«
Mit wehender Purpursoutane rauschte er uns voran zur Stanza della Segnatura, schloss die Tür hinter uns und ließ uns allein.
»Elija, sieh dir das an!«, begeisterte sich Celestina für die Bilder an den Wänden der Stanza. »Das sind die herrlichen Fresken, die Raffaello mir in seinen Briefen beschrieben hat! Dieses …« Sie deutete über meine Schulter, und ich wandte mich um. »… ist die Disputà.
Auf den Wolken des Himmels thront Jesus Christus, und auf der Erde ringen die Gelehrten um ihr Glaubensbekenntnis: Francesco von Assisi, Thomas von Aquino, Dante Alighieri, Fra Girolamo Savonarola und Giovanni Pico della Mirandola … Auch ihn hat Raffaello gemalt! Sieh nur, Elija: die Engelchen mit den Evangelien!
Während die Gelehrten noch in ihren Büchern nach der Erkenntnis des Göttlichen suchen, heben andere ihre Blicke in den Himmel: Sie sehen und glauben. Wie viele Wege des ›Auf dem Weg Seins zu Gott‹ hat Raffaello in diesem Fresko dargestellt: vom ungläubigen Ketzer, der sich über den Rand des Bildes hinauslehnt – welch eine Symbolik! –, bis zum Heiligen, der Gott schaut!«
Begeistert zog sie mich zur anderen Seite des Raumes.
»Und das hier ist die berühmte Schule von Athen ! Auf den Stufen in der Mitte siehst du Platon, der mit einem Finger gen Himmel weist, und neben ihm Aristoteles, dessen Hand auf die Erde zeigt. Das heißt, dass man die Dinge dieser Welt erforschen muss, um die Wahrheit zu erkennen. Wie viel Raffaello mit diesen einfachen Gesten ausgedrückt hat!
Und dort drüben …« Mit leuchtenden Augen führte sie mich zum Fenster gegenüber dem päpstlichen Schreibtisch. »… ist der Parnassos . Schau, Elija: Dort hat Raffaello die Sappho gemalt, deren Skizze in meinem Arbeitszimmer hängt.
Ich bin so glücklich, hier in Rom zu sein!«
Sie fiel mir um den Hals und küsste mich.
In diesem Augenblick wurde mit einem ungeduldigen »Wo ist sie?« die Tür des Raumes aufgerissen, und der Papst stürmte herein.
Als er uns in inniger Umarmung sah, hielt er einen Augenblick inne, hob das vergoldete Augenglas und blinzelte uns kurzsichtig an. Dann trat er auf uns zu.
Er war so groß wie ich und sehr beleibt, was, wie Celestina mir erzählt hatte, auf eine schwere Krankheit zurückzuführen war. Trotz seines Leidens umspielte stets ein liebenswürdiges Lächeln seine Lippen.
Der Sohn des Lorenzo il Magnifico war ein Schüler von Giovanni Pico della Mirandola und Angelo Poliziano gewesen, den größten Geistern des Humanismus. Als Förderer von Leonardo, Michelangelo und Raffaello, die im Vatikan arbeiteten, ließ er nun den florentinischen Glanz in Rom erstrahlen – schöner, prächtiger, grandioser, als es der berühmte Vater in seiner Heimatstadt vermochte. Als Machtpolitiker nutzte Papst Leo vor allem Maestro Raffaello zur Darstellung der göttlichen Vorherbestimmung seiner Erhebung zum
Weitere Kostenlose Bücher