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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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worden.
    Wie viele Menschen mussten noch an meiner Stelle sterben? Sarah … Benjamin … Menandros … dieses unschuldige Kind.
    Adonai, warum quälst Du mich mit dieser furchtbaren Schuld?
    Doch dann besann ich mich:
    »Fray Santángel war hier, David! Es kann noch nicht lange her sein.« Ich zog ihn weg von dem Kreuz. »Wir müssen sofort verschwinden!«
    Als ich mich umwandte, blieb mir fast das Herz stehen.
    Totenbleich starrte Celestina auf das gekreuzigte Kind. Sie hatte sich vornübergebeugt und presste beide Hände auf ihren Bauch. Judith hatte ihren Arm um sie gelegt und stützte sie.
    »Celestina, was ist denn?«, flüsterte ich.
    »Ich habe Schmerzen. Ich glaube, es sind … die Wehen.«
    »Um Gottes willen«, rief David. »Wir kehren so schnell wie möglich zurück zur Ca’ Tron. Celestina muss sich sofort hinlegen. Der Anblick des toten Kindes war zu viel für sie.«
    Ich nahm Celestina in die Arme, trug sie die Treppen hinunter und floh mit ihr aus der Synagoge.
    Sie hielt sich an mir fest und legte ihren Kopf an meine Schulter. »Es tut mir Leid, Elija. Es tut mir so Leid«, hauchte sie immer wieder. Die Tränen des Schmerzes rannen über ihre Wangen.
    »Ich bringe dich nach Hause«, flüsterte ich. »Sei ganz ruhig!«
    David stieß die Tür auf und ließ mich mit ihr auf die Gasse hinaustreten.
    »Bring Celestina, Judith und Esther zu den Gondeln!«, bat mich mein Bruder. Unruhig irrte sein Blick durch die Gasse, doch niemand war zu sehen. »Ich hole aus meiner Apotheke nur schnell ein Mittel gegen die viel zu frühen Wehen. In ein paar Minuten werde ich nachkommen!«
    »David, das ist zu gefährlich!«
    »Willst du, dass dein Kind heute Nacht geboren wird? Dann lass mich die Medizin holen, die sein Leben rettet!« Energisch schob er mich mit Celestina, die sich vor Schmerzen wand, in Richtung des Kanals. »Nimm nicht den Weg durch den Canal Grande, sondern fahr durch die schmalen Kanäle, die zur Kirche San Moisè führen. Der Weg ist sicherer! Santángel ist irgendwo dort draußen!«
    Dann drehte er sich um und rannte die wenigen Schritte zu unserem Haus.
    Judith folgte mir mit ihrer Tochter zu den Gondeln und half mir, Celestina hinzulegen und in den wärmenden Pelz zu hüllen. Während sie beruhigend auf Celestina einredete und ihre Hand hielt, machte ich die Gondel los und ruderte so schnell ich konnte zur Ca’ Tron.

    Wie sie sich quält!, dachte ich besorgt, als ich Celestinas schweißnasses Gesicht betrachtete. Und wie sehr sie sich bemüht, sich ihre panische Angst nicht anmerken zu lassen. Sie fürchtet, das Kind heute Nacht zu verlieren.
    Ich setzte mich neben sie auf das Bett und küsste sie zart.
    »David wird sicher gleich kommen«, beruhigte ich sie.
    Und mich!
    Wo blieb er denn so lange?
    Was war geschehen? Hatte er keine Medizin gegen Celestinas Wehen? Musste er sie erst bei einem anderen Arzt holen – mitten in der Weihnachtsnacht? War er auf dem Weg zur Ca’ Tron von Gojim angegriffen worden, die spät nachts aus der Christmette kamen? Oder war er wegen des Mordes von den Schergen des Zehnerrates festgenommen worden?
    Und ein noch grauenvollerer Gedanke quälte mich: War er womöglich Santángel in die Arme gelaufen?
    Unruhig sprang ich wieder auf, trat erneut ans Fenster, um in die Nacht hinauszustarren. Immer noch nichts zu sehen! Schließlich setzte ich meine Wanderung durch unser Schlafzimmer fort.
    Ein halbe Stunde schon!
    Wo, um Himmels willen, war David?
    Judith nahm mich in die Arme, um mich zu trösten. Sie war so stark! Ich lehnte mich gegen sie.
    »Ich hätte David nicht gehen lassen dürfen.«
    »Er wollte es so«, sagte sie leise. »Du hattest keine Wahl: Celestinas Wehen …«
    Jemand trommelte gegen das Portal zum Campo San Stefano.
    David?
    Schritte auf der Treppe!
    Celestina wand sich stöhnend unter einer erneuten Wehe.
    Ich setzte mich zu ihr auf das Bett und nahm ihre Hand. »Alles wird gut!«, versuchte ich sie zu beruhigen und strich ihr über die Stirn. »Alles wird gut!«
    »Da bin ich nicht so sicher«, hörte ich eine Stimme hinter mir.
    Erschrocken fuhr ich herum:
    »Tristan!«
    Er stand in der Schlafzimmertür.
    »Elija, ich muss dich festnehmen«, sagte er sehr ernst. »Heute Nacht ist ein anonymer Brief in die Bocca di Leone des Dogenpalastes geworfen worden. Du wirst beschuldigt, in der Weihnachtsnacht ein Kind ermordet zu haben. Wir fanden den gekreuzigten Jungen vorhin in der Synagoge am Campo San Luca. Ein furchtbarer Anblick!
    Als Vorsitzender

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