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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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hinabzusteigen. Die ersten Gläubigen gingen an mir vorbei, um zum festlichen Abendessen nach Hause zurückzukehren.
    David erwartete mich.
    »Schabbat Schalom!«, wünschte er mir und küsste mich auf beide Wangen.
    »Dir auch einen friedlichen Sabbat«, erwiderte ich auf Arabisch. »Tausend Dank, David. Es war sehr schön.«
    »Celestina hatte Tränen in den Augen, als Elija sang«, meinte Judith, ebenfalls auf Arabisch.
    David war überrascht. »Mit Tränen in den Augen können wir dich am heiligen Schabbat nicht fortschicken, Celestina. Mit einem Lächeln schon. Warum bleibst du nicht zum Abendessen? Wir würden uns freuen, wenn du heute Abend unser Gast wärst.« Als ich zögerte, fügte er hinzu: »Elija wäre auch sehr glücklich.«
    Bitte komm!, sagte mir sein Blick, wie zuvor, als er mich die Treppen zur Synagoge hochgetragen hatte: Bitte komm, Celestina, und mach ihn wieder lebendig!
    Ohne meine Antwort abzuwarten – sah er das »Ja!« in meinen Augen schimmern? –, nahm er mich in die Arme und trug mich durch die Tür und die Treppen hinunter auf die Gasse, dann durch die Abenddämmerung zurück zum Campo San Luca.
    Den ganzen Weg brannte mir die Frage auf den Lippen, ob das Tragen nicht eine der verbotenen Sabbatarbeiten war. Doch ich schwieg, um seine Entscheidung, das Sabbatgebot zu brechen, nicht auch noch infrage zu stellen.
    »Im Talmud heißt es, dass zwei Engel den Menschen am Freitagabend von der Synagoge nach Hause geleiten, ein guter und ein böser. Wenn der gute Engel sieht, dass im Haus die Schabbatlichter brennen, das Abendessen vorbereitet ist und das Bett für die Nacht mit frischen Laken bezogen ist, dann freut er sich mit den Menschen und sagt: Amen!«, grinste David. »Bisher bin ich an keinem Schabbat einem Engel begegnet. Aber heute bin ich sicher, dass der Engel bei uns ist … Celestina, das himmlische Wesen …«
    Ich lachte. »Amen!«
    Als David mich an der Haustür auf den Boden stellte, um die Mesusa zu küssen, fragte ich: »Wo ist Elija?«
    »Er spricht noch mit seinem Freund Rabbi Jakob Silberstern. Jakobs Sohn Yehiel ist dreizehn und wird in Kürze Bar-Mizwa feiern. Jakob will Elija vermutlich dazu einladen.«
    Dann öffnete David die Tür und ließ mich eintreten. Judith huschte in der Finsternis an mir vorbei, ergriff meine Hand und zog mich zu einer Treppe, die in den ersten Stock führte.
    Der große Wohnraum wurde von mehreren Kerzen in ein goldenes Licht getaucht. Staunend sah ich mich um: Der Saal war prächtig eingerichtet. Eine solch geschmackvolle Eleganz hatte ich im Palazzo Medici in Florenz gesehen und im Palazzo Ducale von Urbino, doch ich hätte sie nicht im Haus einer jüdischen Familie erwartet, die aus Granada geflohen war.
    Ein Mädchen von zwölf oder dreizehn Jahren kam mir entgegen. »Schabbat Schalom!«, begrüßte sie mich. »Bist du Celestina?« Dann stellte sie sich vor: Sie war Esther, Davids und Judiths Tochter.
    Ihr Vater fragte: »Ist Aron schon zurückgekehrt?« Aber Esther schüttelte nur den Kopf.
    Dann kam Elija, den Tallit über der Schulter. Überrascht, mich zu sehen, blieb er einen Augenblick in der Tür stehen. Dann trat er ein, legte den Gebetsschal und Ibn Shapruts Buch ab und kam zu mir herüber.
    Er nahm meine Hand, umarmte mich und küsste mich auf beide Wangen. »Schabbat Schalom!«
    Ich spürte seinen Atem auf meiner Wange. Seine Nähe war verwirrend. Und erregend.
    »Das wünsche ich dir auch von Herzen, Elija: Schabbat Schalom.«
    Unsere Lippen berührten sich, ganz zart, wie ein Lufthauch.
    »Wie schön, dass du gekommen bist«, flüsterte er.
    »Ich bin gern hier«, hauchte ich.
    Im Kerzenlicht der Sabbatleuchter hatte sein Gesicht einen feinen goldenen Schimmer, und seine dunklen Augen leuchteten, als er mich ansah.
    Mein Herz brannte lichterloh, und ich spielte mit dem Topasring an meinem Finger, um mich an Tristan zu erinnern, an das Glück und an die Freude, die wir aneinander hatten, an unsere Liebe. »Du wirst mich nicht verlieren, mein Liebster«, hatte ich ihm erst vor wenigen Stunden geschworen. Und nun …
    Da trat Elija einen Schritt zurück – was hatte er in meinem Blick gesehen? Ohne meine Hand loszulassen, geleitete er mich zum Tisch, der für das Sabbatabendessen sehr schön mit einer weißen Tischdecke, mit Silberbesteck und kostbaren Gläsern aus Murano gedeckt war.
    Der Haus als Tempel und der Tisch als Altar.
    Elija schob mir einen Stuhl zurecht. »Bitte setz dich hier an meine Seite.« Dann nahm er

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