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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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links neben mir am Kopfende des Tisches, auf dem Stuhl des Hausherrn, Platz.
    David ließ sich rechts neben mir nieder, was mir ein wenig peinlich war, denn ich saß ganz offensichtlich auf seinem angestammten Stuhl. Es schien ihm aber gar nichts auszumachen.
    Während Judith und Esther das Essen auftrugen, fragte David seinen Bruder: »Was wollte Jakob von dir?« David sprach Arabisch, damit ich ihn verstehen konnte.
    »Er wollte wegen Yehiels Bar-Mizwa-Feier mit mir reden«, erklärte Elija. »Yehiel wünscht sich, dass ich am nächsten Schabbat den Gottesdienst zu seiner Feier halte. Er wäre glücklich, wenn wir alle daran teilnähmen. Jakob und ich haben uns darauf geeinigt, dass die Feier in unserer Synagoge stattfindet, auch wenn Yehiel ein aschkenasischer Jude ist. Er will es so.«
    Elija wandte sich an mich. »Ich werde am Sonntag nicht kommen können. Yehiel hat mich gebeten, mit ihm im Prophetenbuch Jeremia zu lesen. Daraus will er zu seiner Bar-Mizwa vortragen, und er beherrscht die Melodie noch nicht.«
    Ich nickte – ich gebe es zu: enttäuscht.
    Dann begann das Sabbatmahl mit dem Kiddusch, dem Weihegebet.
    Elija erhob sich und füllte einen Silberbecher randvoll mit Wein. David half mir aufzustehen und übersetzte flüsternd, während Elija sang:
    »… und so vollendete Gott am siebten Tag Seine Werke, die Er getan hatte, und ruhte am siebten Tag. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn …«
    Nach dem Gebet trank Elija von dem Wein und reichte den Becher dann an mich weiter. Ich nahm ihn mit beiden Händen, und unsere Finger berührten sich. Ich sah ihn an, er sah mich an.
    Dann trank ich und gab den Becher David.
    Als alle den Wein genossen hatten, wuschen wir die Hände. Aus einer silbernen Kanne goss Elija das Wasser dreimal über meine rechte und meine linke Hand und sprach den Segen. Dann reinigten sich die anderen und kehrten mit uns an die Tafel zurück.
    Judith stellte ein silbernes Tablett vor Elija auf den Tisch. Darauf lagen zwei geflochtene und mit Mohn bestreute Weißbrote, die durch ein Tuch aus bestickter Seide abgedeckt waren.
    Elija sprach den Segen auf Hebräisch, brach das Brot und verteilte es.
    Ich wollte es schon essen, da schob er eine Schale mit Salz über den Tisch, nahm mir das Brot aus der Hand, stippte es ein und gab es mir zurück. »Das Brot erinnert an das Manna, das Gott Seinem Volk in der Wüste Sinai gab, als es Ägypten verlassen hatte«, erklärte er mir. »Und das Salz ist das Symbol für den ewigen Bund unseres Volkes mit Gott.«
    Wein, Brot und Salz, die Symbole des Alten Bundes.
    Angesichts der Bedeutung und der unvermeidlichen Folgen meiner Tat zögerte ich einen Herzschlag lang. Ich dachte an Eva im Garten Eden: ›Und sie nahm die Frucht des Baumes und aß.‹
    Und dann aß auch ich die verbotene Frucht.

· E LIJA ·
K APITEL 4
    Ohne einen Augenblick zu zögern, hatte Celestina den Wein getrunken. Hatte sie die Segnung an Jeschuas Abendmahl und die christliche Eucharistiefeier erinnert?
    Dass sie nachdachte, bevor sie das Brot und das Salz des Bundes aus meiner Hand annahm, rechnete ich ihr hoch an. Sie wusste, was sie tat – und trotzdem aß sie es.
    Ein stiller Glanz lag auf ihrem Gesicht, als sie mich anlächelte, und ich fragte mich, was sie für mich empfand. Warum riskierte sie ihr Leben, um an diesem Abend bei mir zu sein, anstatt nach Hause zurückzukehren und ihr vollkommenes Leben weiterzuführen, als wären wir uns nie begegnet? Warum, Celestina? Was suchst du bei mir?
    »Nun sag, Celestina: Wie hat dir Elijas Vortrag vor den Humanisten gefallen?«, fragte David, während er ihr ein Stück Braten auf den Teller legte.
    »Du meinst den Disput zwischen Rabbi Jeschua und dem Pharisäer zur Frage der Gottessohnschaft?«, lächelte sie verschmitzt und sah mich dabei an. »Ich war heilfroh, dass ich in dieser Disputation nicht gegen dich antreten musste!«
    »Du hättest sicherlich nicht so schnell aufgegeben wie jener Franziskaner«, gestand ich ihr zu.
    »Nein, ich wäre nicht geflohen«, schmunzelte sie. »Ich hätte mit dir gekämpft – um des Kampfes willen, nicht um Sieg oder Niederlage. Um der Wahrheit willen, der Erkenntnis, des Lernens und des Wissens, des Strebens nach Vollkommenheit, nicht um am Ende Recht zu haben oder dich zu widerlegen und zu bekehren. Aber vor allem, weil es mir Vergnügen bereiten würde.«
    Sie sah mir in die Augen, und ich erwiderte ihren Blick.
    Ich wusste, worüber sie mit mir diskutieren wollte: über

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