Die Evangelistin
die wir noch besaßen, Taufscheine gekauft hätten – die uns die Rückkehr nach Granada ermöglichten.«
»Aber die Taufe ist ein christliches Sakrament, das nicht widerrufen werden kann.«
»Weil Jeschua am Ende des Matthäus-Evangeliums seinen Jüngern die Taufe befohlen hat, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes?«
Sie nickte.
Ich bin also dazu verdammt, ein Christ zu sein!, dachte ich. Glaubt sie wirklich, ich höre auf, ein Jude zu sein und dem Volk Israel anzugehören, nur weil ich getauft bin? Als Sohn eines jüdischen Vaters und einer jüdischen Mutter kann ich nichts anderes sein als ein Jude. Nur der Tod hebt die jüdische Nationalität auf.
Sollte ich ihr das Ende des Evangeliums in Ibn Shapruts Buch vorlesen? Sollte ich ihr offenbaren, was dort wirklich geschrieben stand? ›Geht und lehrt sie‹ – nicht die ungläubigen Gojim, sondern die verirrten Schafe Israels! – ›zu tun, wie ich es euch befohlen habe!‹
»Jeschua hat nichts dergleichen getan, Celestina! Er hat seinen Talmidim, seinen Schülern, die Taufe nicht befohlen. Weder hat er sie erfunden, noch hat er selbst getauft.«
Sollte ich ihr erklären, dass das hebräische Wort für Taufe untertauchen bedeutet – sich selbst taufen? Dass auch Johanan der Täufer niemanden getauft hatte, weil die Menschen selbst in den Jordan stiegen? Nein, es klang wohl zu belehrend!
Also erklärte ich ihr: »Wir Juden werden mit einer reinen Seele geboren. Wir kennen keine Erbsünde, die mit Wasser abgewaschen werden muss. Wir müssen nicht getauft werden. Und unsere Sünden büßen wir an Jom Kippur, dem Versöhnungstag. Dazu brauchen wir keinen blutig gegeißelten und gekreuzigten Gottessohn, der uns durch seinen Tod erlöst. Wozu also sollte Rabbi Jeschua vor seiner Kreuzigung getauft haben?«
Ihr Blick irrte zu Ibn Shapruts Prüfstein hinüber. Sie wollte dieses Werk, das zum Prüfstein ihres christlichen Glaubens geworden war, unbedingt lesen.
»Woher stammt dieses Buch?«, fragte sie mit glänzenden Augen.
»Aus Granada.«
»Ihr seid also als Juan, Diego und Fernando de Santa Fé zurückgekehrt.«
Ich nickte. »Ich war sechzehn. Mein Rabbi, bei dem ich studiert hatte, war nicht mehr in Granada. Ich war noch kein ordinierter Rabbi und hatte keine Möglichkeit mehr, mein Studium zu beenden. Daher bewarb ich mich um die Stelle als Sekretär beim neuen Erzbischof von Granada.«
»Fray Hernán de Talavera?«, fragte sie.
»Du kennst ihn?«
»Er war der Beichtvater der Königin Isabel, bevor er Erzbischof von Granada wurde. Sein Name steht auf der ersten Seite der lateinischen Bibel, die Judith mir in die Synagoge mitbrachte.«
»Hernán hat mir seine Bibel geschenkt, bevor er starb. Wir waren Freunde.«
Celestina erhob sich und holte die lateinische Bibel, die sie beim Eintreten weggelegt hatte. Dann setzte sie sich, schlug die erste Seite auf und las: »›Vaya con Dios, Juan, y Él va contigo – Geh mit Gott, Juan, und Er wird mit dir gehen.‹ Das ist kein spanisches Wortspiel, sondern ein hebräisches, nicht wahr?«
Ich nickte. »Hernán de Talavera war ein Converso. Seine Mutter war Jüdin gewesen, was ihn selbst zu einem Juden machte. Hernán war oft bei uns zu Gast.«
»Der Erzbischof von Granada!«, staunte sie.
»Fünfzehn Jahre lang, bis zu seinem Tod im Jahr 1507, war ich Hernáns Sekretär und Vertrauter.«
»Du hast für die Kirche gearbeitet?«, fragte sie ungläubig. »Für die Kirche, die dich als Juden verfolgt?«
»Als Sekretär des Erzbischofs habe ich für die Juden und die Muslime gearbeitet, nicht für die Kirche«, erwiderte ich. »Ich habe christliche Theologie studiert und die Evangelien gelesen. In Granada habe ich Religionsunterricht gehalten, damit die Mauren die christliche Lehre verstanden und nicht, wie die jüdischen Conversos, ein Opfer der Inquisición wurden, weil niemand sie vor oder nach der Taufe gelehrt hatte, was sie glauben sollten. Die meisten konnten nicht einmal das Paternoster richtig aufsagen, weil sie kein Latein verstanden. Vom Credo ganz zu schweigen. Das hat vielen die Feuertaufe im Auto de Fé eingebracht.
Hernán war begeistert von meiner Idee, die Evangelien in die arabische Sprache zu übersetzen. Das Seelenheil der Conversos und Moriscos lag ihm sehr am Herzen.«
»Du schätzt ihn sehr.«
»Er war wie ein Vater für mich, und ich wie ein Sohn für ihn. Als ich sein Sekretär wurde, war ich sechzehn und er vierundsechzig. Als Erzbischof und ehemaliger
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