Die Evangelistin
Beichtvater der Königin besaß er nach wie vor großen politischen Einfluss und das Vertrauen der Reyes Católicos.
Er hat den Conversos und den Moriscos in Granada niemals mit dem christlichen Glauben gedroht, wie es viele andere taten. Er hat sich gegen die Einführung der Inquisición in seiner Diözese gewehrt und hat sie scharf kritisiert. Er wollte, dass die Konversion eine freie Willensentscheidung des Gläubigen war, dem nicht mit den Flammen des Scheiterhaufens gedroht werden sollte. Er sprach von der Libertad religiosa, von der Glaubensfreiheit. Als Erzbischof genoss er das Vertrauen und den Respekt der muslimischen und jüdischen Bevölkerung. Viele Muslime nannten ihn einen Heiligen. Er zelebrierte seine Messen auf Spanisch, nicht auf Lateinisch, was viele Mächtige wie Francisco Jiménez de Cisneros, den späteren Großinquisitor von Kastilien, gegen ihn aufbrachte. Er wollte, dass seine Priester Arabisch lernten, und lernte es selbst – und ich war sein Lehrer.
Hernán förderte mich, wie er nur konnte. Er vertraute mir – und schwieg, obwohl er wusste, dass ich mein Studium der Schrift niemals aufgegeben hatte. Er ahnte, dass ich den Conversos nicht nur christlichen Religionsunterricht gab, sondern sie auch im jüdischen Glauben unterwies.«
Nun ergriff David wieder das Wort. »In den Nächten zum Montag und zum Donnerstag, den traditionellen jüdischen Gottesdiensttagen, predigte Elija in den Weingärten der Vega, dem Fruchtland außerhalb von Granada. Am Freitagabend und am Schabbatmorgen wäre das zu auffällig gewesen, da wir Conversos misstrauisch beobachtet wurden.
Jede Nacht trafen sich die Gläubigen an einer anderen Stelle: in einem Olivenhain draußen in der Vega, am Ufer der Flüsse Darro und Genil, auf dem Sacromonte, in den Gärten der Alhambra, auf dem Weg zur Sierra Nevada oder in einem verlassenen Haus mitten in Granada.
Elija war der einzige Schriftgelehrte in der Stadt. Und obwohl er erst achtzehn und noch nicht offiziell zum Rabbi ordiniert war, respektierten ihn alle. Denn er gab ihnen ihre Hoffnung zurück, ihr Gefühl, Jude zu sein, und ihren Glauben an Adonai, unseren Herrn. Seine Predigten waren so wunderschön, dass sie uns zu Tränen rührten!
Die begeisterten Gläubigen gingen nachts sehr weit, um ihn zu hören. Der Geist Gottes war in ihm, wenn er predigte. So muss es gewesen sein, als Jeschua in Galiläa lehrte und die Menschen …«
»Glaub David kein Wort, Celestina! Er übertreibt maßlos«, winkte ich ab. »Ich habe gelehrt und gepredigt wie ein Rabbi.«
»Du hast Elija doch selbst in der Synagoge gehört, Celestina!«, rief David. »Er ist ein begnadeter Prediger, ein Prophet!«
Ich lachte bitter. »Und ich dachte, meine Fähigkeit, Wunder zu tun, wäre mir im Kerker von Córdoba abhanden gekommen.«
David schluckte. Dann lenkte er das Gespräch in eine andere Richtung:
»Ich habe in Sevilla Medizin studiert. Hernán hätte mich an den Universitäten von Salamanca oder Montpellier lernen lassen, doch ich wollte nach Sevilla gehen. Von dort konnte ich nach Hause zurückkehren, um hin und wieder den Schabbat mit Elija und Aron zu feiern. Als ich nach meinem Medizinstudium nach Granada zurückkehrte, wollte auch Elija endlich seinen Abschluss machen.«
»Wie wäre das möglich gewesen?«, fragte mich Celestina. »Soweit ich weiß, wird ein Rabbi von einem anderen durch Handauflegen ordiniert. Und dein Rabbi war nicht mehr in Granada.«
»Nein, aber ich wusste, dass er, wie wir, nach Alexandria gehen wollte«, erwiderte ich. »Also habe ich den Erzbischof gebeten, mich auf eine Wallfahrt nach Jeruschalajim begeben zu dürfen, um Jeschuas Grabeskirche zu besuchen. Dann bin ich nach Málaga geritten und habe dort ein Schiff nach Alexandria bestiegen. Die Stadt ist ein weltberühmtes Zentrum für Wissenschaft und jüdische Gelehrsamkeit. Dort habe ich nach meinem alten Lehrer gesucht.«
»Und hast du ihn gefunden?«, fragte sie gespannt.
»Nein. Er hatte zwar in Alexandria gelebt, und ich war auch in seinem Haus. Doch er war inzwischen gestorben.«
Es lag so viel Mitgefühl in ihrem Blick, so viel Wärme, dass mir ganz heiß ums Herz wurde.
»Ich bin ein halbes Jahr in Alexandria geblieben und habe die Bekanntschaft bedeutender Rabbinen gemacht. Viel habe ich von ihnen gelernt. Gewöhnlich hat ein Talmid, ein Schüler, nur einen Rabbi, der ihn die Schrift lehrt, doch ich hatte fünf.
Du musst wissen, dass jeder Rabbi selbstständig die Schrift auslegt. Es
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