Die Evangelistin
– viele Conversos blieben in ihrem Herzen ihrer alten Religion treu, hielten den Schabbat, aßen koscher, fasteten, beteten, feierten Pessach, Sukkot und Jom Kippur und waren nur zum Schein Christen – so wie meine Familie. Juan, Diego, Fernando und Joaquín hörten niemals auf, Elija, David, Aron und Benjamin zu sein.
Die spanische Inquisición war gegründet worden, um eben das zu verhindern. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn ein falscher Converso in der Kirchenhierarchie aufstieg. So wie ich, Juan de Santa Fé, der christliche Theologie studiert hatte und sich ohne weiteres zum Priester hätte weihen lassen können, wenn er gewollt hätte. Hernán de Talavera hätte mir seinen Segen gegeben.
Jahrelang hatte sich Hernán dagegen gewehrt, dass die Inquisición nach Granada kam. Er hatte sich bemüht, die den Mauren in der Kapitulationserklärung von Granada 1492 zugesicherte Glaubensfreiheit durchzusetzen. Er, selbst der Sohn einer Jüdin und misstrauisch beobachtet, wie nachsichtig er mit den Conversos umging, geriet von allen Seiten in die Schusslinie. In Francisco Jiménez de Cisneros, dem Erzbischof von Toledo, dem wichtigsten politischen Berater von Königin Isabel, hatte Hernán de Talavera einen mächtigen Feind, der dann auch noch zum Kardinal und Großinquisitor für Kastilien ernannt wurde – und damit zuständig war für Granada.
Wie wir Juden wurden die Mauren gezwungen, ein Zeichen an ihrer Kleidung zu tragen: einen blauen Halbmond. Dann wehte plötzlich ein anderer Wind in Granada, und er trieb den beißenden Gestank brennender Scheiterhaufen vor sich her. Die Muslime rebellierten gegen den Bruch der ihnen gegebenen Versprechen. Monatelange Aufstände der Mauren erschütterten Granada.
Im Jahr 1499 residierten die Reyes Católicos mit ihrem Hof in der Alhambra. Isabel und Fernando zeigten sich Erzbischof Hernán de Talavera gegenüber ungeduldig und höchst unzufrieden mit der Missionierung von Granada. Ich habe Hernán zu einigen Audienzen begleitet.
In der Alhambra lernte ich auch den Erzbischof von Toledo kennen, Francisco Jiménez de Cisneros, den späteren Großinquisitor von Kastilien. Dass ich als konvertierter Jude der Vertraute des Erzbischofs von Granada war, missfiel Cisneros. Aus purer Gehässigkeit prüfte er meinen Glauben: Er lud mich zum Abendessen ein und setzte mir einen Teller mit blutigem Schweinefleisch vor.«
»Hast du das Fleisch gegessen?«, fragte Celestina.
»Nein. Schweinefleisch ist uns Juden verboten, ebenso wie Blut.«
»Aber wie hast du es geschafft, dich aus der Affäre zu ziehen?«
»Ich habe dem Erzbischof von Toledo vorgehalten, dass mir sein Misstrauen, denn nicht anders könnte ich diese Geste verstehen, auf den Magen geschlagen wäre. Wenn er berechtigten Grund zu der Annahme habe, ich sei kein Christ, dann möge er doch seine Zeugen benennen und Anklage gegen mich erheben. Spanier sind sehr schnell in ihrer Ehre gekränkt. Ich, Juan de Santa Fé, nahm mir dasselbe Recht heraus: Ich war stolz. Ich habe Cisneros stehen lassen und bin gegangen.«
»Wie hat er reagiert?«
»Auf der Liste seiner Lieblingsfeinde rückte ich um mehrere Plätze auf und rangierte nun gleich hinter Hernán de Talavera.«
»O mein Gott!«, flüsterte sie.
»Erzbischof Cisneros, der von Isabel und Fernando den Auftrag hatte, Granada zu evangelisieren, war erschrocken und entsetzt über das, was er dort vorfand: muslimische Mauren, jüdische Conversos und, noch viel schlimmer, zum Islam konvertierte Christen! Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit. Cisneros entriss den weinenden Eltern ihre Kinder und ließ sie gegen deren Willen taufen. Die Moschee auf dem Albaicín ließ er als christliche Kirche weihen. Koran-Handschriften wurden auf offener Straße verbrannt.
Es kam zum Aufstand. Auch in anderen Städten des ehemaligen Königreichs Granada wurde zu den Waffen gegriffen. In Al-Andalus drohte ein Krieg. Die Reyes Católicos sahen in diesen Erhebungen eine Verletzung des Abkommens von 1492 durch die Muslime und fühlten sich ihrerseits auch nicht mehr verpflichtet, sich an die Kapitulationsvereinbarung zu halten.
Dann wiederholten sich die Ereignisse von 1492: Die Mauren wurden aus Kastilien ausgewiesen. Viele ließen sich taufen. Wer nicht konvertierte, wurde vertrieben, wie zehn Jahre zuvor wir Juden. Viele unserer maurischen Freunde gingen 1502 nach Fes und Marrakesch oder nach Alexandria. Wer zurückblieb, wurde in ein Maurenviertel
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