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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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wenigen Tagen an ihren Wunden. Elijas Leben durfte auf keinen Fall gefährdet werden, also wurde dem Inquisitor die Folter untersagt. Wäre Elija auf der Folterbank gestorben, wäre er zum Märtyrer geworden.
    Die Folgen in Al-Andalus wären für König Fernando nicht absehbar gewesen – blutige Aufstände nicht nur der christlichen und muslimischen Mauren, wie in den drei Jahren vor ihrer Vertreibung, sondern auch der jüdischen Christen, die Nacht für Nacht Elijas Predigten vor den Mauern von Granada gehört hatten. Fernando von Aragón hatte nach Isabels Tod genug innenpolitische Schwierigkeiten in Kastilien, dessen Herrscher er nicht war. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war ein Aufstand in Al-Andalus, das zu Kastilien gehörte.
    Elija durfte nicht geopfert werden, aber sein Ansehen sollte zerstört werden. Nasir ad-Din, Elija ha-Chasid, Juan de Santa Fé sollte zu einem Mann ohne Namen werden, gedemütigt und von allen vergessen. Dann konnte er in einigen Monaten zum Auto de Fé auf den Scheiterhaufen geschickt werden. Cisneros nahm sich also persönlich des Prozesses an. Er hoffte, Elija in der Disputation in die Knie zwingen zu können. Er wollte Elija dazu bringen, seinen Glauben zu verteidigen, wie es bei derartigen Disputationen zwischen Juden und Christen üblich ist, wenn über die Rolle von Jeschua als Maschiach, als Messias, gestritten wird, über seinen Titel als Sohn Gottes und vieles mehr. Aber Elija verteidigte seinen Glauben nicht.«
    Celestina sah mich erstaunt an.
    »Ohne auch nur einen Schritt zurückzuweichen, ging er zum Angriff über. Cisneros verlor die erste Disputation. Er hatte nicht bedacht, dass Elija christliche Theologie studiert und sich sehr intensiv mit den lateinischen Evangelientexten beschäftigt hatte, bevor er sie dann schließlich ins Arabische übertrug. Außerdem kannte Elija die Tora, den Talmud und alle Verteidigungsschriften jüdischer Gelehrter, die zu solchen Disputationen gezwungen worden waren. Ibn Shaprut hat den Prüfstein geschrieben, den du Elija zurückgebracht hast. Das Buch enthält den Bericht über die Disputationen, die der Rabbi mit dem späteren Gegenpapst Benedikt XIII . geführt hatte.
    Mit anderen Worten: Elija hat Cisneros in diesem intellektuellen Gladiatorenkampf auf Leben und Tod mit gezielten Schlägen vor sich hergetrieben, bis der Kardinal nicht mehr vor oder zurück konnte. Als er erkannte, dass Elija kurz davor stand, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, hat er die Disputation abgebrochen.
    Ich weiß noch: Es ging um Jeschuas Rolle als Maschiach. Das Buch Jesaja prophezeit nach dem Tag des Herrn, an dem Gott ein letztes Mal mit großen Schrecken über die Erde hinwegfegen wird, ein messianisches Königreich. Das Reich des Friedens und der Gerechtigkeit wird anbrechen, wenn ein Spross aus dem Stamm Davids hervorgeht.
    Elija beendete den Disput mit Kardinal Cisneros mit den Worten: ›Wenn die Welt und mit ihr das Volk Israel durch den Tod Jesu Christi am Kreuz wirklich erlöst wäre, warum stehe ich dann heute vor Euch, Eminenz? Wieso stehe ich dann vor dem Gericht der Menschen und nicht vor dem Gericht Gottes?‹
    Der Kardinal würdigte ihn keiner Antwort. Weil er keine hatte.
    Und so ging es weiter, Gespräch für Gespräch: Die Kirchengründung durch Jeschua. Das Sakrament der Taufe und die Erbsünde. Der Auftrag zur Bekehrung der Heiden. Jeschuas Sühneopfertod am Kreuz. Jeschua als Sohn Gottes. Die Juden als ›Gottesmörder‹. Jeschuas Auferstehung, das Fundament, auf dem Paulus den christlichen Glauben begründete.
    Es war wie der Kampf zwischen David und Goliath – und David siegte.
    Elija verteidigte seinen jüdischen Glauben nicht, aber er griff den christlichen Glauben auch nicht an. Er folgte keinem der jahrhundertelang ausgetretenen Wege der Theologen, nein, er suchte sich einen noch nie zuvor beschrittenen Weg durch die Wüste. Elija führte den christlichen Glauben auf die jüdischen Lehren des jüdischen Rabbi Jeschua ben Joseph zurück, gezeugt von einem jüdischen Vater, geboren von einer jüdischen Mutter, der als frommer Jude an jedem Schabbat die Synagogen seiner Heimat besucht hatte, der seine jüdischen Jünger jüdische Gebete lehrte und der seine Bergpredigt vor Juden gehalten hatte. In Hebräisch. In Israel.«
    »Aber um sich auf derartig umfassende Diskussionen vorzubereiten, hätte Elija seine Bücher zur Hand haben müssen«, wandte Celestina ein.
    »Ich habe sie ihm ins Gefängnis gebracht«,

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