Die Evangelistin
erwiderte David. »Jede Woche war ich in Córdoba, um Elija zu besuchen und an den Disputationen teilzunehmen. Sarah hat mich jedes Mal begleitet. Am Schabbat wurde sie für zwei Stunden zu ihm in die Zelle gelassen. Allein.«
»Aber das ist unmöglich! Kein Gefangener der Inquisition darf Besucher empfangen. Und die Ehefrau …«
»Dieser Gefangene durfte es, auf ausdrücklichen Befehl von Kardinal Cisneros. In Córdoba und in Sevilla war die Zahl der angeklagten Conversos so groß, dass die Klöster ihre Kellergewölbe als Kerker einrichteten – in manchen Gefängnissen waren so viele Menschen, dass nicht alle sitzen oder liegen konnten, sondern stehen mussten. Und dann die Schreie der Gefolterten … Es war grauenvoll!
Nach Cisneros Willen sollten alle Conversos und Moriscos in Granada wissen, dass Elijas immenses Vermögen nicht eingezogen worden war, dass er gut behandelt wurde, keine Ketten trug, nicht gefoltert oder mit dem Tod bedroht wurde. Dass er in seiner Zelle, die sogar ein Fenster besaß, seine Bücher lesen konnte. Dass er mit seiner Frau schlafen durfte – um den Schabbat zu heiligen.«
»Aber warum?«, wollte Celestina wissen.
»Sie wollten, dass Sarah ihn dazu brachte aufzugeben. Sie wollten, dass er als Converso stolperte und als Jude stürzte. Sie wollten, dass er eine Disputation verlor, dann noch eine und noch eine – dann hätten sie ihn auf den Scheiterhaufen schicken können. Deswegen haben sie Elija und Sarah stundenlang allein gelassen. Es war nur eine andere Form des Terrors, ein wenig subtiler als die Folter, doch auf die Dauer ebenso wirkungsvoll. So glaubten sie jedenfalls.
Aber da kannten sie Sarah nicht, die Kämpferin für die Freiheit! Jeden Schabbat brachte sie den Inquisitoren und den Gefängniswärtern einen Korb mit Brot, Käse, Schinken, Oliven und Wein. Wir mussten für Elijas Aufenthalt im Gefängnis bezahlen, das ist bei der Inquisición so üblich. Aber die stolze Sarah bezahlte monatelang auch die Inquisitoren, bis Kardinal Cisneros dahinterkam. Er soll getobt haben!«
»Und dann?«, fragte Celestina.
»Dann erinnerte sich Cisneros eines Verses aus dem Buch Ijob: ›Der Herr gibt und der Herr nimmt.‹ Er hat Elija Sarah weggenommen.«
Celestina sah mich an. »Er hat Sarah angeklagt, weil er dich nicht in die Knie zwingen konnte?«
Ich nickte.
»Hat er sie gefoltert?«
»Ja.«
»Hat sie gestanden?«
»Nein«, erwiderte ich. »Sie wusste, dass sie damit mich, unseren Sohn Benjamin, David, Aron, Judith und Esther und viele unserer jüdischen und muslimischen Freunde auf den Scheiterhaufen gebracht hätte. Sie …« Ich holte tief Luft. »Sie hat sich unter der Folter die Zunge abgebissen, um nichts zu sagen. Tagelang haben sie sie gequält, losgebunden, in eine Zelle gebracht, und ich hoffte, das Martyrium wäre endlich vorbei. Doch dann haben sie sie wieder geholt, erneut festgeschnallt und brutal gefoltert. In meiner Zelle habe ich ihre verzweifelten Schreie gehört.«
Ich fuhr mir über die Stirn.
»Ich habe mir mit der Spitze meiner Schreibfeder in die Hand gebohrt, immer wieder, bis ich blutete. Ich wollte Schmerz erleiden, während Sarah so herzzerreißend schrie und weinte. Ich habe gefleht: ›Lasst sie doch in Ruhe. Nehmt mich, und lasst sie frei!‹ Das Wehklagen hörte nicht auf. Sie haben sie die ganze Nacht lang gequält: Ich dachte, ich würde den Verstand verlieren. In manchen Nächten kann ich ihre Schreie noch immer hören …«
Celestina ergriff meine Hand. Zart strich sie mit dem Finger über das Stigma, das ich mir selbst zugefügt hatte, als ich mit der Feder meine Hand durchbohrte.
»Dann haben sie Benjamin aus Granada geholt. Mein Sohn war wenige Wochen zuvor dreizehn geworden und hatte heimlich seine Bar-Mizwa gefeiert. Stolz hatte er mir im Gefängnis zugeflüstert, dass er nun ein ›Sohn des Gesetzes‹ sei. Sarah und ich hatten unseren Sohn nach seiner Geburt nicht beschneiden lassen, denn das wäre für ihn lebensgefährlich gewesen. Diese Pflichtvergessenheit gegenüber dem Bund mit Gott berichtigten dann die Folterknechte der Inquisición. Und beim Wegschneiden waren sie sehr großzügig. Benjamin ist vor Schmerz ohnmächtig geworden.«
Celestina barg ihr Gesicht in den Händen.
»Das Urteil der Inquisición lautete: schuldig. Als Conversos hätten meine Frau und mein Sohn heimlich weiter dem jüdischen Glauben angehangen.«
»Gab es Beweise?«, fragte Celestina leise.
Ich schüttelte den Kopf. »Schon 1482 hatte der
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