Die Evangelistin
Und dann fragte er, ob ich wüsste, dass ich als Jude kein Purpur und kein Scharlachrot aus Alexandria nach Venedig importieren dürfte, um den Vatikan damit zu beliefern.«
»Er hat dir das Messer an die Kehle gesetzt?«, rief David.
»So wie ich ihm.«
»Als Mitglied im Zehnerrat verfügt Tristan Venier über sehr viel Einfluss«, protestierte David. »Ein Wink von ihm, und dein Kontor wird geschlossen und unser Vermögen konfisziert.«
Aron schenkte sich erneut ein. »Er braucht das Geld. Nicht nächste Woche, sondern morgen. Erstaunlich rasch sind wir uns über die Rückzahlung der Schulden, den Zinssatz und die Bedingungen einig geworden.«
»Welche Bedingungen?«, fragte David.
»Er übersieht weiterhin alle Warenlieferungen, die aus Alexandria in meinem Kontor eintreffen«, erklärte Aron. »Dafür leihe ich ihm die zehntausend Zecchini zu einem Zinssatz, der weit unter den zwölf Prozent liegt, die die Republik Venedig in der Condotta festgeschrieben hat.«
»Ihr habt das Geschäft also tatsächlich abgeschlossen!«, rief David bestürzt. »Aron, wie konntest du nur?«
»Liebster Bruder, was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen? Hätte ich dem mächtigsten Mann Venedigs sagen sollen: ›Es tut mir aufrichtig Leid, Señor Venier, aber ich kann Euch diese Summe nicht leihen‹? Welchen Grund hätte ich ihm nennen sollen? Dass ich nicht über so viel Geld verfüge? Darüber hätte er nur amüsiert gelacht – er weiß, dass ich ihm zehntausend Zecchini geben kann, und er weiß auch, dass wir so reich sind, dass wir halb Venedig kaufen könnten! Hätte ich mir den mächtigsten Mann Venedigs zum Feind machen sollen? Tristan Venier ist vielleicht der nächste Doge.«
»Ihr erpresst euch gegenseitig!«, rief David.
»Jeder von uns beiden bekommt, was er haben will. Er erhält morgen zehntausend Zecchini und kann wieder ruhig schlafen. Ich bekomme meine Zinsen und noch etwas viel Wichtigeres: Sicherheit. Nie wieder werde ich so sicher Handel treiben können wie unter dem Schutz eines einflussreichen Consigliere dei Dieci, der die venezianischen Gesetze selbstherrlich und ungeniert missachtet.«
Ich warf Celestina einen Blick zu. Obwohl sie nur wenig von unserer hebräischen Unterhaltung verstand, wirkte sie unruhig. Sie schien Tristan Venier tatsächlich zu kennen.
»Habt ihr das Geschäft bei einem Notar auf dem Rialto beglaubigen lassen?«, fragte David.
»Natürlich nicht! Es gibt einen Vertrag in zweifacher Ausfertigung: ein Exemplar für ihn, eines für mich. Er hat ihn selbst aufgesetzt.« Aron zog ein gefaltetes und gesiegeltes Papier hervor und warf es auf den Tisch.
»Gibt es Zeugen für dieses Geschäft?«, wollte David wissen.
Aron schüttelte den Kopf. »Tristan Venier hatte seinen Sekretär fortgeschickt, als ich in sein Arbeitszimmer geführt wurde. Nur wir beide wissen, dass er sich ein Vermögen bei mir leiht.«
David hob besorgt die Augenbrauen. »Wenn ihr so schnell handelseinig geworden seid – wo warst du dann den Rest der Nacht?«
Lange nach Mitternacht brachte ich Celestina nach Hause. Die Fackeln waren längst gelöscht.
Während des Rittes dachte ich an Aron, der Davids Frage nicht beantwortet hatte. Wo war er so lange gewesen? Und warum wollte er nicht, dass wir erfuhren, was er getan hatte?
Mehr denn je glaubte ich, dass sich Aron mit vierunddreißig endlich verliebt hatte und sich heimlich mit einer venezianischen Jüdin traf.
Erst vor wenigen Tagen hatte mir Yehiel unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit erzählt, dass an manchen Abenden eine junge Frau vor Arons Kontor wartete. »Sie ist schön, hat langes goldblondes Haar und blaue Augen«, hatte Jakobs Sohn mir vorgeschwärmt. »Aron nennt sie Mirjam, wenn er sie umarmt und küsst.« An den Abenden, an denen Yehiel Mirjam gesehen hatte, war Aron sehr spät mit nassen Haaren heimgekehrt und hatte sich wortlos in sein Zimmer zurückgezogen. Er hatte also mit ihr geschlafen. Sonst hätte er nicht spät nachts die Mikwa aufgesucht, um sich nach dem Liebesakt rituell zu reinigen.
Ich gönnte Aron sein Glück von Herzen. Dass er es nicht mit uns teilen wollte, stimmte mich traurig. Glaubte er, mir wehzutun und mich an meine verlorene Liebe zu erinnern, wenn er mir seine Geliebte vorstellte?
David hatte mir angeboten, Celestina nach Hause zu bringen. »Du bist müde, Elija. In der letzten Nacht hast du nicht geschlafen. Außerdem hast du Schmerzen, das sehe ich dir an. Lass mich gehen!« Doch ich hatte
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