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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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»Wollt ihr irgendwann wieder fortgehen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich will nicht mehr fliehen. Nie mehr!«, erwiderte ich. »Hier in Venedig kann ich als freier Mensch leben. Ich kann Jude sein. Den Schabbat feiern. Koscher essen. In der Synagoge mit Tallit und Tefillin beten. Ich kann sogar die Humanisten im Talmud und in der Tora unterrichten. Hier in Venedig bin ich ein Mensch, Celestina, ich werde nicht als Marrano, als Schwein, beschimpft. Ich werde das Paradies nicht verlassen. Niemals!«

    Die Haustür fiel ins Schloss.
    Schritte auf der Treppe.
    »Der verlorene Sohn kehrt zurück«, murmelte David. Dann leerte er sein Weinglas in einem Zug, um es sofort wieder zu füllen. Mein Bruder war zornig.
    Dann stand Aron in der Tür, schloss sie hinter sich und lehnte sich einen Augenblick dagegen. Seine dunklen Haare waren tropfnass. War er wieder in der Mikwa gewesen?
    Dann bemerkte Aron Celestina an meiner Seite.
    »Schabbat Schalom«, wünschte David und wies auf den Stuhl, auf dem bis zu Arons Eintreten Judith gesessen hatte. »Falls es dir vielbeschäftigtem Menschen entfallen sein sollte: Heute ist Schabbat. Selbst Gott ruhte am siebten Tag.«
    Aron ließ sich auf den Stuhl fallen, schenkte sich das Glas voll und stürzte durstig den Wein hinunter.
    »Wo warst du? Wir haben uns Sorgen gemacht …«, begann ich auf Hebräisch.
    »Du bist nicht mein Vater«, fuhr Aron mich an. »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.«
    David knallte sein Glas auf den Tisch. Der Wein schwappte auf das weiße Tischtuch und hinterließ einen Fleck. Mein Bruder wollte etwas sagen, doch ich schnitt ihm das Wort ab:
    »David und ich waren bei Sonnenuntergang an deinem Kontor am Rialto, aber es war schon geschlossen. Du warst nicht da.«
    »Ich tätige meine Geschäfte nicht nur am Rialto.«
    Ich nickte stumm.
    Seit einigen Tagen, das hatte Aron mir erzählt, predigte ein fanatischer Franziskanermönch vor Arons Kontor den christlichen Kreuzzug gegen die jüdischen Bankiers, die Geld gegen Zinsen verliehen. Mit scharfen Worten verurteilte jener Franziskaner den ›von Gott verdammten‹ Aron Ibn Daud, beschimpfte alle Christen, die es wagten, auch nur in die Nähe seines Kontors zu kommen, und drohte ihnen mit erhobener Faust die Exkommunikation, den Verlust des Seelenheils und die Qualen der christlichen Hölle an.
    Venedig hatte uns Juden durch die Condotta*, den Vertrag zwischen der Regierung und der jüdischen Gemeinde, das Recht und die Freiheit gegeben, in der Stadt zu wohnen, Synagogen zu errichten und unseren Glauben frei zu leben. Im Gegenzug sollten die Juden der Republik Geld leihen, denn den Christen war die Kreditvergabe gegen Zinsen verboten. Da wir Juden von fast allen Berufen bis auf den des Bankiers und des Arztes ausgeschlossen waren, weder Land noch Häuser besitzen durften und zum Teil über große Mengen Gold verfügten, war das Geldgeschäft letztlich die einzige Möglichkeit, die hohen Steuern zu bezahlen und zu überleben. Das hatte auch der große Rabbi Rashi von Troyes erkannt, als er entschied, dass Geldgeschäfte mit Christen gestattet waren, denn ›… wir können nicht überleben, wenn wir nicht mit Christen handeln, denn wir leben mitten unter ihnen und wir müssen sie fürchten‹.
    Immer wieder hetzten die Franziskaner die Massen gegen die Juden auf. Oft gab es an Feiertagen blutige Ausschreitungen. Seit jener Frater vor Arons Kontor Gottes Zorn auf alle Juden herabbeschwor, machte ich mir große Sorgen um meinen Bruder.
    Aron lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, fuhr sich durch das nasse Haar und trank noch einen Schluck Wein. »Ihr werdet nicht glauben, wer mich heute zu sich gebeten hat. Seine Exzellenz, Tristan Venier.«
    »Was wollte er von dir?«, fragte ich beunruhigt.
    Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Celestina die Stirn runzelte, als Aron den Consigliere erwähnte. Kannte sie ihn?
    »Seine Herrlichkeit wollte Geld leihen«, murmelte Aron.
    »Tristan Venier ist einer der reichsten Männer Venedigs«, warf David ein. »Wieso ruft er wegen ein paar Zecchini einen jüdischen Bankier?«
    »Es ging um mehr als ein paar Goldmünzen«, murmelte Aron in sein Weinglas.
    »Wie viel wollte er leihen?«, fragte David.
    »Zehntausend Zecchini.«
    »Zehntausend?«, ächzte David. »Das ist ja ein riesiges Vermögen! Aron, so viel Geld darfst du nicht verlei…«
    »Das habe ich ihm auch gesagt«, unterbrach ihn Aron.
    »Und dann?«, fragte David entsetzt.
    »Er meinte, das sei ihm bekannt.

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