Die Evangelistin
abgelehnt: »Ich bin dir dankbar dafür, dass du mich beschützen willst, David. Aber nimm mir dabei nicht die Verantwortung für mein Leben.«
Ich hatte Celestina in den Sattel geholfen und das Pferd am Zügel ergriffen, um es durch die Nacht zu führen. Doch sie fasste meine Hand, glitt mit dem Fuß aus dem Steigbügel und bat mich, hinter ihr aufzusteigen.
Ihre Nähe, ihre Wärme und der Duft ihres Haares waren berauschend. Die Berührungen, wenn sie sich leicht gegen mich lehnte, erregten mich. Ich hatte meinen linken Arm um sie geschlungen und mit der rechten Hand die Zügel ergriffen. Mehr als ein Mal streiften ihre Finger wie unabsichtlich mein Knie.
Nach allem, was an diesem Abend geschehen war, nach allen Gefühlen, die sie wie glühende Funken in mir aufgewirbelt hatte, will ich gar nicht leugnen: Ich hatte Feuer gefangen und brannte lichterloh.
Langsam ritten wir durch die mondbeschienenen Gassen, aber nicht auf dem direkten Weg vom Campo San Luca zum Campo San Stefano. Ich wollte diese wundervollen Gefühle nicht zerstören, indem ich sie an das Attentat erinnerte. Also nahm ich den anderen Weg zur Piazza San Marco und von dort, an San Moisè vorbei, zum Campo San Stefano.
Vor der Ca’ Tron sprang ich vom Pferd und half ihr aus dem Sattel. Die Schmerzen an meiner Seite spürte ich kaum.
Dann stand sie vor mir und lehnte sich gegen mich. Ihren Arm hatte sie um meine Mitte geschlungen, als müsste sie sich an mir festhalten, um nicht zu stürzen.
Schweigend sahen wir uns an. Der Sternenhimmel schimmerte in ihren Augen. Jedes Wort hätte diesen Augenblick zerstört.
Ich umarmte sie und küsste sie zart auf die Lippen. Sie schlang ihre Arme um meine Schultern und antwortete mir mit einem atemberaubenden Kuss. Dann ließ sie mich los.
»Dein Kuss ist sehr kostbar«, hauchte sie. »Du hast sie sehr geliebt. Und du liebst sie immer noch.«
Ich nickte.
Sie senkte den Blick. Dann sah sie mich wieder an. Ihre Augen funkelten im Mondlicht. Ganz zart berührte sie meine Wange. »Kali nichta!«
»Was heißt das?«
»Es bedeutet: gute Nacht! Das ist der erste Teil der Griechisch-Lektion. Du entscheidest, wann du sie fortsetzen willst, Elija. Wenn du kommst, werde ich da sein.«
Dann drehte sie sich um und verschwand im Haus.
· C ELESTINA ·
K APITEL 5
Verwirrt lehnte ich mich gegen die geschlossene Tür. Elijas Kuss hatte mich völlig aus der Fassung gebracht, und meine Gefühle hatten mich überwältigt.
Eine Weile stand ich reglos und starrte in die Finsternis.
Ich dachte an Tristan, an unsere Liebe, an unsere Leidenschaft, wenn wir im Bett lachend eine Kissenschlacht ausfochten, die immer gleich endete – Tristan verlor. Ich dachte an unsere Zärtlichkeit, wenn wir erschöpft und glücklich in den Armen des anderen lagen, an all die tiefen Gefühle, die uns verbanden, an die Geheimnisse, die wir teilten, an die Freiheit, die wir uns jeden Tag neu schenkten.
So viel Liebe, so viel Freude!
Und so viele Geheimnisse!
Was hatte Tristan mit Aron besprochen?
Wenn er sich Geld leihen musste, warum wandte er sich an einen jüdischen Bankier und fragte nicht mich? Ich hätte ihm doch alles gegeben, was ich besaß! Auch wenn es sich offenbar um eine große Summe handelte – David war überrascht und entsetzt gewesen. Ich hätte über die Iatros in Athen und die Medici in Rom das Geld innerhalb weniger Tage beschaffen können. Oder sollte ich vielleicht nicht wissen, dass Tristan sich diese enorme Summe leihen musste? Warum nicht? Wofür, um Himmels willen, brauchte er so viel Geld?
Doch nicht … Nein, daran wollte ich nicht denken! … Aber wenn er das Geld nun doch … Nein, er hatte mich noch nicht gefragt. Er hatte Angst vor meiner Antwort. Und trotzdem: Brauchte er das Geld für unsere Hochzeit?
Tristan, warum hast du so viele Geheimnisse vor mir?
Mit beiden Händen fuhr ich mir über das Gesicht.
Welch ein Tag!, dachte ich. Ein Knotenpunkt so vieler Ereignisse, die Verbindung so vieler Schicksalsfäden.
Zuerst die Einladung des Papstes nach Rom, die Baldassare mir während der Vermählung mit dem Meer überbracht hatte. Dann mein Gespräch mit Leonardo Loredan und seine Forderung, ich sollte auf meine Freiheit und meine Karriere verzichten, Tristan heiraten und meine verbotenen Bücher verbrennen. Meine Entscheidung, nach Rom zu fliehen, und mein Abschied von Tristan mitten in der Nacht. Dann das Attentat auf mich, der Kampf mit den Assassini, meine Rettung durch Elija. Sein Fortgehen ohne
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