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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Abschied im Morgengrauen, meine Suche nach ihm, um ihm sein Buch zurückzubringen. Der Gottesdienst in der Synagoge, die Einladung zum Sabbatmahl, wo ich die verbotene Frucht gekostet hatte: das Brot und das Salz des Alten Bundes. Elijas Geschichte, die mir sehr nahe ging. Und als Elija mich nach Hause brachte, der Kuss … dieser wundervolle und überaus kostbare Kuss.
    Ihr seid wie zwei hell strahlende Sternschnuppen, die aufeinander zustürzen, hatte David gesagt. Was geschah, wenn zwei Sternschnuppen einander zu nahe kamen? Sie zogen sich an und lenkten sich gegenseitig aus ihrer festgelegten Bahn. Und was geschah, wenn jene beiden Sternschnuppen sich auf ihren Flugbahnen so nah kamen, dass sie sich berührten … dass sie miteinander verschmolzen und eins wurden?

    ›… denn was ist der Mensch ohne seine Hoffnungen und Träume?‹, schrieb ich.
    Meine Hand schmerzte – da ich nicht schlafen konnte, hatte ich seit dem Morgengrauen geschrieben. Ich steckte die Feder ins Tintenfass und wischte mir die Finger an einem Leinentuch ab.
    In Gedanken versunken starrte ich auf die letzten Worte meines Manuskripts. Was ist der Mensch ohne seine Hoffnungen und Träume? Eine Frage, auf die ich keine Antwort hatte.
    Mit fünfundzwanzig Jahren hatte ich alles erreicht. Ich war eine erfolgreiche Humanistin, über die selbst der Papst begeisterte Lobeshymnen sang und deren Ansichten und Urteile unter den Gelehrten anerkannt waren. Ich war finanziell unabhängig und musste nicht, wie viele andere, einem reichen Mäzen schmeicheln, um ein weiches Bett und eine warme Mahlzeit zu bekommen. Ich konnte reisen, nach Athen, nach Istanbul, nach Alexandria, nach Rom, und ich konnte zurückkehren zu dem Mann, den ich liebte und der mich liebte, der mir vertraute und der niemals infrage stellte, was ich tat: Tristan.
    Geistesabwesend starrte ich auf die im Sonnenlicht funkelnden Wellen des Canalazzo.
    Wovon träumt der Mensch, der sich mit festem Willen und stolzer Leidensbereitschaft alles erkämpft hat, was es zu gewinnen gibt: Erfolg, Respekt, Ruhm, Ehre, Reichtum, Liebe, Glück? Wovon träumt der Mensch, der sich mit Selbstbeherrschung und Selbstvertrauen selbst erschaffen hat? Welche Visionen hat er noch?
    Ich griff zur Feder und schrieb:
    ›Der furchtbarste Augenblick im Leben des Menschen ist nicht der, in dem er erkennt, dass, obwohl er sein Leben lang mit aller Kraft gekämpft hat, seine Hoffnungen sich nicht erfüllen werden, sondern der, in dem er sich bewusst wird, dass er keine Hoffnungen mehr hat, keine Wünsche, keine Träume, keine Visionen …‹ Die Tinte tropfte auf das Papier, als ich einen Augenblick innehielt, dann schrieb ich mit zitternder Hand: ›… nichts, wofür es sich zu leben lohnt.‹
    Ich warf die Feder auf das Manuskript, wo die Spitze einen Tintenfleck hinterließ, und fuhr mir mit den Händen über das Gesicht.
    »Celestina?« Menandros stand in der Tür der Bibliothek. »Willst du Besuch empfangen? Unten wartet jemand auf dich.«
    »Seit wann lässt Tristan sich so förmlich ankündigen? Sonst stürmt er doch die Treppen hoch, um mich zu küssen.«
    »Es ist nicht Tristan. Doch mir scheint, als ob er ebenso gern die Treppen hochstürmen wollte, um dich zu umarmen.«
    »Elija ist gekommen?«, fragte ich, und mein Herz schlug schneller. »Würdest du ihn bitte heraufführen?«
    Menandros nickte und verschwand, um ihn zu holen.
    Mein Blick fiel auf den Crucifixus an der Wand neben der Tür. Hastig nahm ich das Bild des Gekreuzigten ab und verbarg es unter einem Berg von Büchern.
    Dann stand Elija vor mir.
    »Ich habe den ganzen Morgen gebetet. Während des Gottesdienstes habe ich an deine Worte von letzter Nacht gedacht. Ich wollte dich fragen …« Elija zögerte, als er mein Manuskript auf dem Schreibtisch liegen sah. »… ob wir nicht heute mit dem Griechisch-Unterricht beginnen könnten.« Er sah mir in die Augen – war da ein Flehen in seinem Blick? »Wenn es dir heute nicht passt, dann werde ich wieder gehen und an einem anderen Tag wiederkommen.«
    »Bitte geh nicht, Elija«, bat ich ihn. »Wolltest du den Sabbat nicht im Studium verbringen?«
    Er lächelte. »Aber das tue ich doch!« Dann zitierte er aus dem Gedächtnis die griechische Inschrift über der Tür: »›Wer werden will, der trete ein. Wer glaubt zu sein, komm’ nicht herein.‹ Lernen will ich – also lehre mich.«
    Ich ergriff seine Hand und führte ihn zum Schreibtisch. »Bitte setz dich!«
    Während er auf meinem Stuhl

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