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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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besonderen Schatz: einen sehr alten hebräischen Papyrus.«
    »Einen hebräischen Papyrus in einem griechisch-orthodoxen Kloster?«, fragte Elija ungläubig.
    »Warte, ich werde ihn dir zeigen.« Ich sprang aus dem Bett und holte die griechischen Evangelien aus seinem Arbeitszimmer, dann kroch ich mit dem Buch zu ihm ins Bett.
    Um den zerbrechlichen Papyrus nicht zu zerstören, öffnete ich vorsichtig die Buchdeckel.
    »In einer dunklen, staubigen Ecke der Bibliothek habe ich ihn gefunden. Es ist ein abgerissenes Fragment einer Papyrusrolle, auf keinen Fall jedoch ein beidseitig beschriebenes Blatt aus einem gebundenen Codex. Das bedeutet, dass dieses Dokument sehr alt ist. ›Sehr alt‹ heißt: erstes Jahrhundert nach Christus! Ab der Mitte des ersten Jahrhunderts wurden statt der herkömmlichen Schriftrollen Codices, also gebundene Bücher, benutzt.
    Ich habe den Abt gebeten, mir den Papyrus, den auch er nicht lesen konnte, zu verkaufen. Er kostete mich ein kleines Vermögen, aber das war mir gleichgültig. Um diesen alten Text lesen zu können, habe ich begonnen, Hebräisch zu lernen. Vergeblich! Bisher ist es mir nicht gelungen, ihn zu übersetzen.«
    Begeistert beugte sich Elija über das Fragment. »Fantastisch!«, flüsterte er bewegt. »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde …«
    »Kannst du das lesen?«
    »Ja«, murmelte er gedankenverloren, den Blick gebannt auf den Text gerichtet.
    »Was steht dort?«, drang ich ungeduldig in Elija.
    »Es ist Aramäisch.«
    »Die Sprache Jesu?«, fragte ich aufgeregt.
    »Hebräisch und Aramäisch sind eng verwandt. Die Grammatik unterscheidet sie. Kein Wunder, dass du diesen Text nicht lesen konntest …« Seine Worte erstarben in fasziniertem Schweigen, als er sich wieder in den Text vertiefte. »Das ist unglaublich!«, flüsterte er schließlich. »Weißt du, welch kostbaren Schatz du gefunden hast, Celestina? Dieser Text ist ein aramäisches Matthäus-Evangelium!«
    »Was?«
    Elija lachte glücklich. »Die Kirchenväter, Eusebius, Hieronymus und all die anderen, haben die Wahrheit gesagt! Dieses Evangelium ist keine fromme Erfindung der Kirchenväter, und es ist keine jüdische Rechtfertigung des Glaubens! Es gibt ein hebräisches oder aramäisches Evangelium! All die Jahre habe ich gehofft, ich würde einen Beweis finden, dass Shemtov Recht hatte. Dass sein Evangelium wahr ist!« Er umarmte mich. Seine Hände zitterten vor Aufregung.
    »Morgen werden wir mit der Übersetzung der Evangelien beginnen«, versprach ich, bewegt von seiner tiefen Freude. »Und du wirst Das verlorene Paradies ganz neu erschaffen!«
    »Wir werden es gemeinsam erschaffen, Celestina.« Er küsste mich leidenschaftlich. »Ich will den Rest der Geschichte hören. Wie bist du nach Venedig zurückgekehrt?«
    »Der Doge hat mich 1513, nach drei Jahren des Exils, zurückgerufen. Das scheinbar Unmögliche hat er vollbracht: Die Ehe meiner Eltern, die in Athen geschlossen worden war, wurde für gültig erklärt. Der Letzte Wille meines Vaters erfüllte sich. Ich bin seine legitime Tochter, die einzige Erbin des riesigen Vermögens. Ich – nicht Antonio!«
    »Wie hat er auf deine Rückkehr reagiert?«
    »Antonio fürchtete, ich wollte mich für seinen Verrat und die Vergewaltigung rächen. Er hat mich um Vergebung angefleht. In jener Nacht habe er mich nur dazu bewegen wollen, Venedig zu verlassen. Unser erbitterter Streit und meine Weigerung hätten ihn so zornig gemacht, dass er völlig die Beherrschung verlor.
    Ich warf ihm vor, dass er mich ermorden und meine Leiche in der Lagune verschwinden lassen wollte. Er war entsetzt: So etwas hätte er niemals beabsichtigt! Seine Schläger sollten mich eine Nacht lang gefangen halten und mir so viel Angst einjagen, dass ich es nicht wagen würde, jemals nach Venedig zurückzukehren. Im Morgengrauen sollten sie mich dann zu einem Schiff rudern, das nach Lissabon segelte. Damit glaubte er mich aus dem Weg zu haben. Dass die Männer mich immer wieder vergewaltigen würden, habe er nicht gewusst.«
    »Glaubst du ihm?«
    Ich nickte. »Ja, ich glaube ihm. Antonio war fassungslos, als ich ihm erzählte, was mir angetan worden war. Auf Knien bat er mich um Vergebung.«
    »Und hast du ihm vergeben?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das konnte ich nicht. Aber ich habe ihm versprochen, dass ich auf Vergeltung verzichten und in Frieden mit ihm leben wollte. Niemandem würde ich erzählen, was in jener Nacht geschehen war. Er hat versprochen, mich in Ruhe

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