Die ewige Bibliothek
sein müssten – in Ton, anstatt auf Papier? Und wenn ich auch glauben kann, dass Ihre Reisen es Ihnen erlaubt haben, sich Kenntnisse der alten semitischen Sprachen zusammenzureimen, kann ich Ihnen doch nicht abnehmen, dass Sie eben solche Erfahrungen mit Keilschrift gemacht haben.«
»Das Buch, das Sie und Professor Galen vor sich liegen haben, ist auch nicht in irgendeiner Form geschrieben oder gedruckt worden, die Sturluson, Wagner oder Liszt zuvor bekannt gewesen wäre, und doch sind Sie nur zu bereit, an seine Authentizität als Chronik altnordischer Dichtung zu glauben. Und was das Beherrschen von piktographischen Sprachen betrifft – ich glaube, meine Position als Leiter des Instituts für Mathematik sollte Sie davon überzeugen, dass ich Zeichen lesen kann.«
»Also, ich bin von dem Buch nicht überzeugt – noch nicht«, sagte Galen vage.
»Was wollten Sie gerade sagen?«, fragte Michael, dessen Wangen sich röteten.
»Wunderbar«, sagte Juda, der sich ermutigt fühlte, fortzufahren. »Das fünfte Buch war sumerischen Ursprungs und noch älter als die akkadischen Schriften. Es hatte ebenfalls einen numerischen Satzbau – vermutlich auf der Grundlage der Wortbilder, die in Uruk erfunden wurden –, der sich ziemlich schwer meistern ließ.«
»Das hätte ich gern gesehen.«
»Ich hätte es Ihnen gern gezeigt, aber es ist mir nur gelungen, den Sturluson in meinen Besitz zu bringen.«
Ein kurzer Blickaustausch zwischen Galen und Michael hielt die unbeantwortete Frage fest, wie Juda in den Besitz des Buches gekommen war, und legte sie zugleich auf den Stapel brennender Fragen.
»Worum ging es darin?«, fragte Michael.
»Es war eine Art Geschäftsbuch«, sagte Juda. »Eigentlich handelte es sich um einen Bericht über ein Unterfangen kaufmännischer Natur, ein panozeanisches landwirtschaftliches Unternehmen, das die gesamte nördliche Halbkugel umspannte.«
»Panozeanisch? Atlantisch etwa?«
»Genau: Das ursprüngliche Original, dem unsere Vorstellungen von Atlantis entstammen, das vielleicht Ys genannt wurde. Und es war um fast hunderttausend Jahre älter, als alle Schätzungen über diese Pseudo-Kultur. Tatsächlich deutete es sogar an, was den Niedergang der gesamten Kultur verursacht haben könnte.«
»Mein Gott«, sagte Michael. »Was ist passiert?«
»Das gleiche, was immer passiert«, sagte Juda. »Man kann Demokratie und Republik nicht mischen und trotzdem ein funktionsfähiges freies Unternehmertum beibehalten.«
»Ich hab’s gewusst«, sagte Michael. »W-was war mit dem sechsten?«
»Das war merkwürdig. Es trug Spuren der numerischen Sprache der Sumerer, aber – und das ist das Unlogische daran – es war mit Eigenheiten der Mayasprache durchsetzt. Es handelte sich um eine Kombination von phonetischen und glyphischen Symbolen. Sehr merkwürdig.«
»Einhunderttausend Jahre altes Maya?«, fragte Galen.
»Es könnte Olmekisch gewesen sein«, schlug Michael vor. »Die olmekische Schrift ist einzigartig und vielleicht noch älter als die der Maya. Die Schriftzeichen ähneln denen, die vom Volk der Vai in Westafrika benutzt werden, und die Olmeken sprachen einen Dialekt der Mandingo-Sprache, die in Westafrika verbreitet ist und von der vielfach behauptet wird, dass sie die älteste lebendige Sprache der Welt sein könnte. Sowohl die Olmeken, als auch die Epi-Olmeken verfügten über hieroglyphische Schriftsysteme.« Michael verspürte eine Gelassenheit, die sich mit der Äußerung von Sachkenntnis einstellt. »Beim traditionellen Olmekisch handelte es sich um ein silbisches Schriftsystem, das im Herzen des Landes immerhin seit dem neunten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung verwendet wurde. Aber im Unterschied zu den Maya benutzten die Olmeken auch eine wortsilbische Schrift, die sowohl aus einer silbischen als auch aus einer hieroglyphischen Schrift bestand, obwohl die hieroglyphischen Schriftzeichen einfach nur silbische olmekische Zeichen waren, aus denen man Bilder machte. Es gibt zwei Arten der olmekischen Hieroglyphenschrift: die reinen Hieroglyphen oder Bildzeichen, und die phonetischen Hieroglyphen, die eine Kombination aus silbischen und wortbildlichen Zeichen darstellten. Das klingt verdammt nach dem, was Sie in diesem Buch gesehen haben.«
»Oder etwas sehr Ähnlichem«, stimmte Juda zu. »Der Text handelte von der Ur-Stadt – der ersten Stadt, die man so nennen konnte; desgleichen der letzte übersetzbare Band, der Informationen über die Gründung der Stadt vor etwa
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