Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die ewige Bibliothek

Die ewige Bibliothek

Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
Vom Netzwerk:
Michael.
    »Sind Sie jemals an einem Ort gewesen, der vollkommen fremdartig war, auf malerische Art und Weise ungastlich, eine große Herausforderung und in jeder Hinsicht eine Welt, bei deren Erkundung sich all Ihre bisherigen Erfahrungen als unzulänglich erwiesen haben?«, fragte Juda.
    »Nun«, sagte Michael grübelnd, »ja. Und zwar in Lybien. Man hat auf mich geschossen, es hatte niemals weniger als vierzig Grad im Schatten, und ich habe mir einen ordentlichen Durchfall eingefangen. Kein besonders schöner Ort.«
    »Waren Sie auf einer Ausgrabung? Einer Forschungsreise? Oder auf einem Kulturaustausch?«
    »Nein, nichts dieser Art.«
    »Warum sind Sie dann dorthin gefahren?«
    Michael zuckte mit den Schultern. »Es schien mir damals eine gute Idee zu sein.«
    »Bedauern Sie die Erfahrung?«
    »Nein, überhaupt nicht. Ich glaube nicht, dass ich ohne guten Grund noch einmal dorthin fahren werde. Aber damals dachte ich, dass ich vielleicht nie wieder die Gelegenheit haben würde – und habe mich auf den Weg gemacht.«
    »Genau. Das habe ich auch gedacht, als ich über den Kontinent reiste und mich an der Grenze zwischen Nepal und Tibet wieder fand.«
    »Wann war das?«, fragte Galen.
    »Vor etwa zwei Jahren, direkt nach meinem Abschluss in Cambridge«, sagte Juda. »Ich kam zu der Feststellung, dass mir noch ein paar Reisen gut tun würden, bevor ich mich einem sesshaften Leben als Lehrer und Forscher widmete.«
    »Das war eine gute Entscheidung«, sagte Michael. »Ich bin noch nie im Himalaja gewesen, aber ich kann mir vorstellen, dass es ein wunderbarer Ort ist.«
    »Geschmacklos wäre ein besseres Wort«, sagte Juda mit einem Anflug von Bedauern. »Tibet ist nicht mehr das, was es vor Mao war. Revolutionäre Graffiti überdecken die Fresken, chinesische und hinduistische Popmusik übertönt die Gesänge der Mönche, und Bordelle und Casinos überwuchern die Paläste. Das zwanzigste Jahrhundert hat Tibet eingeholt und es trägt die Uniform der Han-Chinesen. Ich dachte, ich sollte es mir anschauen, bevor das Verschüttete zum Vergessenen wird. Ich war schon fast eine Woche in Tibet, als ich zufällig beim Mittagessen einen amerikanischen Journalisten kennen lernte, der sich bereits einen knappen Monat länger dort aufhielt. Er war zu diesem Zeitpunkt gerade vom Rang eines lokalen Irren zu so etwas wie einem lokalen Skandal aufgestiegen. Allem Anschein nach suchte er in Tibet nach einem Wesen, das sich Rakshasha nennt…«
    »Der Schneemensch«, fügte Michael hinzu. »Interessant.«
    »Aha«, brummte Galen skeptisch.
    »… das er nach einer etwa fünfwöchigen Expedition wohl auch fand.«
    »Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass er Erfolg hatte?«, fragte Galen ungläubig. »Oder etwa doch?«
    »Aber ja – und zwar insofern, als dass er auf einen bislang unbekannten Zweig der Familie der Eisbären stieß. Die gewaltigen, langhaarigen Tiere lebten in einer abgelegenen Gegend in einer für Menschen ungeeigneten Höhe, und sie wurden nur dann gesichtet, wenn sie auf der Suche nach Ziegen oder Rindern den Berg herunter kamen. Die Bereitschaft meines Tischgefährten, den zusätzlichen Aufwand auf sich zu nehmen, verlangte trotz seiner Marotten Respekt.«
    »Was für Marotten?«, fragte Michael.
    »Unter anderem bestand sein Name nur aus einem einzigen Buchstaben – ›H‹«, sagte Juda. »Davon abgesehen, glaube ich, war es seine Fähigkeit zu spielerischem Denken – ein Charakterzug, den der Mathematiker in mir bewunderte – und sein ungewöhnlicher Tatendrang. Nach fast einem Monat ergebnisloser Forschung schickte H seine Träger ins Dorf zurück und wanderte allein den Gletscher hinauf. Dort nähte er sich ein Ziegenfell an seine Kleidung und zog elf Tage mit einer Herde wilder Ziegen umher, bis die Bären auf einen Einkaufsbummel vorbeikamen. Er kam kaum mit den Fellen auf seinem Rücken davon, und ich glaube, ein Zeh ist ihm erfroren. Aber seine Story hat er bekommen, das muss man ihm lassen.«
    »Hmm«, meinte Michael. »Wenn das alles war, was er gewollt hatte, warum war er dann immer noch da, als sie ankamen?«
    »Das habe ich ihn auch gefragt«, sagte Juda. »Er meinte, dass es sich bei den insgesamt fünf Bären um die Monster handelte, die die Dorfbewohner beim Stehlen ihrer Tiere beobachtet hatten, und dass diese Entdeckung alle wichtigen journalistischen, wissenschaftlichen und sensationellen Aspekte seiner Story abdeckte. Er hatte jedoch noch etwas anderes entdeckt, das er sich nicht erklären

Weitere Kostenlose Bücher